■ Boykottieren oder hinfahren – zur Kontroverse um die Teilnahme an der Pekinger Weltfrauenkonferenz
: Besser spät als überhaupt nicht: Aufruf zum Girlkott

In gut zwei Wochen soll in Peking die Weltfrauenkonferenz losgehen. Vom 4. bis zum 15. September, so ist es geplant, treffen sich dort 36.000 TeilnehmerInnen zur größten Konferenz in der Geschichte der UNO. Ausgerechnet in Peking sollen die Menschenrechte der Frauen diesmal verhackstückt werden.

Die Feministische Partei DIE FRAUEN ruft seit Juli zum Boykott dieser Großveranstaltung auf. Ein bißchen spät, wo doch die Vorbereitungen schon seit 1992 laufen und so viele reiselustige Frauen längst gebucht haben und sich auf einen zugleich exotischen, fortbildenden und menschheitsfördernden Kurzurlaub freuen in einem Land, das sie immer schon mal kennenlernen wollten. Die Verspätung liegt daran, daß es die Feministische Partei überhaupt erst seit kurzem gibt (Anfang Juni wurde sie aus der Taufe gehoben). Besser spät zum Boykott aufrufen als nie – alle anderen Parteien wollen brav mitmachen bei einer Veranstaltung, deren Gelingen schon immer fragwürdig war. Den hehren Zielen, um die es geht, den Bedingungen, die die Weltfrauenkonferenz herbeiführen will, wird gerade am Veranstaltungsort mit aller Macht entgegengearbeitet. Das galt zwar auch schon für Nairobi 1985, aber was sich in China im Vorfeld der Konferenz in den letzten Wochen abspielt, hat doch noch eine andere „Qualität“. Damit alles schön festlich wird, wurden 23 Menschen hingerichtet, die im Verdacht standen, sie könnten den Verlauf der Konferenz oder das Stadtbild stören. Die als unbequem eingestuften regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs) wurden vorsorglich an die Peripherie verbannt. Sechzig Kilometer vom Ort des Geschehens soll ihre Kritik, zum Beispiel an der chinesischen Menschenrechtspolitik, wirkungslos verpuffen. Damit auch wirklich nichts bis dorthin dringt, wo die Regierungsdelegationen tagen, wurde die Straße zwischen Peking und dem Verbannungsort gesperrt; nur Lebensmitteltransporte sollen noch durchgelassen werden. Soll niemand sagen, die mißliebigen NGOs würden nicht gut versorgt!

Sogar die UNO selbst fürchtet jetzt um die Harmonie und hat vorbeugend tibetische und iranische Frauenorganisationen von der Konferenz ausgeschlossen. Auch unsere liebe Frau Claudia Nolte sorgt sich um die Harmonie vor Ort und fordert eine „enge Abstimmung innerhalb der Delegation“, da die Konferenz „in einem schwierigen Umfeld“ stattfinde. „Politische Aktivitäten im Rahmen und im Umfeld der Konferenz bedürften deshalb der Absprache mit der Delegationsleitung.“

Hillary Clinton überlegt hin und her, ob sie nach Peking fahren soll oder nicht. Eine starke Rede halten – kann sie die Teilnahme damit rechtfertigen? Aber wenn Hillary zu stark wird, schadet das dem Gatten, der im nächsten Jahr wiedergewählt werden möchte. Hillarys Dilemma ist das der Frauen(-konferenz) ganz allgemein.

Nun haben Frauen ja sowieso kaum was zu sagen. Daß aber ausgerechnet anläßlich einer Veranstaltung, bei der es angeblich um unsere Rechte geht und die uns nur alle fünf Jahre, seit Nairobi 1985 gar nur im Abstand von zehn Jahren, zugestanden wird, die für uns zuständige Ministerin einen parteiübergreifenden Maulkorberlaß verkündet, ist schon stark. Spätestens jetzt hätte frau Boykottideen von der SPD, den Bündnisgrünen und der PDS erwartet, denn aus dem „Zoff“, den man vor Ort machen wollte, um die Teilnahme an der immer mehr zur Farce verkommenden Konferenz noch irgendwie zu rechtfertigen, wird ja nun nicht mehr viel.

Ich habe schon lange beschlossen, der Konferenz fernzubleiben. Erstens glaube ich nicht, daß diese weitgehend von Männergremien beschlossenen und organisierten Konferenzen uns Frauen etwas nützen: Seit der letzten Konferenz in Nairobi vor zehn Jahren hat sich die Lage der Frauen weltweit verschlechtert! Zweitens finde ich es nicht nur bedenklich, sondern widerlich, das chinesische Unrechtsregime durch eine solche Mammutveranstaltung international aufzuwerten. (Ich war sehr froh, daß die Ausrichtung der Olympiade 2000 nicht an China ging, sondern an Australien. Hätte ich diese Meinung als chinesische Dissidentin geäußert, wäre ich zu zwei Jahren „Umerziehung durch Arbeit“ verurteilt worden.

1936 traf sich die Welt zur Olympiade in Berlin – den Nazis konnte es recht sein. Heute sind sich alle einig und geben beschämt zu, daß es ein schrecklicher politischer Fehler war, Hitler auch noch diese Ehre anzutun.

Die chinesische Regierung wird angesichts der erwarteten internationalen Aufwertung auch immer dreister. „Jetzt wird niemand mehr einen Rückzieher machen“, scheint mann zu denken, „zu viel ist investiert und organisiert worden“. Die Welt sitzt in der Falle ihrer „Sachzwänge“, und China nutzt das aus, kündigt neue Atomtests an und führte sie durch.

1980, nach dem Einmarsch der Sowjets in Afghanistan, boykottierten die USA und etwa fünfzig weitere Länder die Olympiade in Moskau. In Peking geht es noch nicht mal nur um ein Sportfest, sondern um etwas wirklich Wichtiges. Ich möchte mal mit einem Vergleich veranschaulichen, weshalb mir bei der ganzen Sache so übel wird:

Wenn einer, der seine Frau unterdrückt und quält, mich zu einer Party in sein Haus einlädt, gehe ich nicht hin – das ist ja wohl das mindeste. („Die Frau“ steht hier für Abhängige und körperlich/machtpolitisch Schwächere im weitesten Sinn.) Wenn er mich zu einer interessanten Konferenz einlädt, die in seinem weitläufigen Anwesen stattfindet, gehe ich auch nicht hin. Wenn die Konferenz das Thema „Gewalt gegen Frauen“ hat, frage ich mich: Woher nimmt dieser Kerl diese Dreistigkeit? Und wo lebe ich eigentlich, daß da überhaupt Leute hingehen, die genau wissen, was der Mann seiner Frau antut?

Der Mann hat eben lukrative Aufträge zu vergeben. China boomt gewaltig, riesige Absatzmärkte tun sich da auf, Milliardengeschäfte winken oder sind schon abgeschlossen. Deshalb wohl meint unser Kanzler, daß die Menschenrechte in China halt nicht mit unseren Maßstäben gemessen werden dürfen. Luise F. Pusch