: Freispruch erster Klasse für Vachdorf
Ein Dorf bittet um Vergebung für die Vertreibung des schwarzen Postboten Julio Zime – und der Pfarrer erteilt den Segen. Die Hauptschuldigen sind sowieso Funk und Fernsehen ■ Aus Vachdorf Klaus-Peter Klingelschmitt
Aber der HERR zürnte. Und schickte am Sonntag Blitze und Donner und Hagelschauer nach Vachdorf in Thüringen. Denn „der HERR behütet die Fremdlinge“ (Psalm 146). Und ER liebt die Gerechten, nicht die Selbstgerechten.
Schätzungsweise 150 Vachdorferinnen und Vachdorfer waren am Sonntag nachmittag in die Kirche St. Trinitatis in Vachdorf gekommen. Des HERRN wegen. IHN wollten sie um Vergebung bitten, daß sie den einen Fremdling nicht behütet hatten. Nur „einige Wirrköpfe“ hätten den Aushilfspostboten Julio Zime aus Vachdorf „weggeekelt“ (taz v. 16.8.), behauptet der einzige in Vachdorf niedergelassene Arzt in seinem „Bekenntnis“ vor den Gläubigen. Doch alle, die von der Jagd gewußt und geschwiegen hätten, seien mitschuldig geworden an diesem „Skandal“. Alle?
Die gottesfürchtigen Vachdorfer und Vachdorferinnen wollen „nichts gewußt“ haben von den Schikanen gegen den schwarzen Briefträger. Nie wollen sie was gehört haben von den rassistischen Ausfällen gegen den Mann, der in ihrem Dorf einfach nur die Post loswerden wollte.
Das Dorf besteht aus winzigen Gassen, in denen zum Beispiel die Fachwerkhäuser mit den Hausnummern 146 und 5 nebeneinander stehen. In jedem dritten Haus wohnt ein Mensch mit dem Nachnamen Werner, viele Häuser haben überhaupt keine Hausnummern. Bei diesen Verhältnissen, sagt die Wirtin der „Salzbrücke“ im Nachbardorf, sei doch jeder Briefträger auf Hilfe angewiesen. Doch Julio Zime hätten die Vachdorfer „ins offene Messer“ laufen lassen. Nur Männer, heißt es hinter vorgehaltener Hand, hätten sich einen Spaß daraus gemacht, den schwarzen Aushilfspostboten in die Irre zu schicken.
Zime hat sich längst versetzen lassen, mit Journalisten mag er nicht mehr reden. „Egal, was ich Ihnen jetzt auch sage, Sie schreiben ja doch, was Sie wollen“, erklärte er gegenüber der taz. Er fühle sich „richtig leer“ nach diesen „sinnlosen“ Interviews.
In der „Salzbrücke“ feierten einige der Hetzer letzte Woche noch, ungestört, ihren „Sieg“ über den „Neger“. Da ist der Wirtin „der Kragen geplatzt“, sagt sie. Aber diskutieren mit so welchen, das habe ja keinen Sinn.
Monatelang habe die Post die Stelle in Vachdorf ausgeschrieben. Doch keiner der Arbeitslosen aus Vachdorf und Umgebung habe sich gemeldet. Die Vachdorfer und Vachdorferinnen, sagt sie, seien schon immer ein „komisches Volk“ gewesen. Komisch? „Eigenbrötlerisch“ halt, „irgendwie verschlossen“.
Der Gottesdienst in St. Trinitatis läuft ganz nach Art des Hausherrn Winfried Wagner. Vachdorf, predigt der Oberpfarrer, sei Opfer der Medien geworden, die über „uns hergefallen sind“ und „uns“ weltweit in Verruf gebracht hätten. Mit „Telefonterror, Schmähbriefen und Morddrohungen gegen unbeteiligte Bürgerinnen und Bürger“ sei in Vachdorf eine „Atmosphäre der Angst“ geschaffen worden. Das geben Bürgermeister Richard Korsch, der Pfarrer und der Vorsitzende der Verwaltungsgemeinschaft Salzbrücke, Joachim Bauer, nach dem Gottesdienst auch noch zu Protokoll.
Selbst die Kinder, will eine Vachdorferin beobachtet haben, könnten beim Puppentheater nicht mehr lachen. Tief sitze auch bei denen der Schock über den „Terror“ der Medien. Die, findet der Pfarrer, hätten die gleiche Schuld auf sich geladen wie die „wenigen Verirrten“, die Julio Zime aus Vachdorf vertrieben haben.
Die „Verirrten“, die nicht zum Gottesdienst gekommen waren, wurden von der Gemeinde in das „Fürbittgebet“ aufgenommen: „Gebt denen eine Chance, die hier Fehler begangen haben.“ Mit gesenkten Köpfen waren die Dorfältesten zur Kirche gekommen, mit erhobenen Häuptern gingen sie wieder nach Hause. Zurück in die „schwierigen Lebensverhältnisse“ nach der Wende – so redet Oberpfarrer Wagner. Mitnehmen durften sie einen Freispruch erster Klasse von einem Stellvertreter des HERRN auf Erden.
Der „Neger“ ist weg. Und Vachdorf liegt wieder „friedlich im Werragrunde“ (Vachdorflied). „Vachdorf ist überall“, sagte der Arzt von Vachdorf auch noch. „In Solingen und in Rostock, in Bosnien und in Südafrika.“
Der Pfarrer hat Julio Zime und seine deutsche Frau ins Kulturhaus eingeladen. Der „Fremdling“ (Psalm 146) soll dann erfahren, daß in der „lieben Dorfgemeinde“ ein „frisches, frohes Streben“ herrsche, wie es im „Vachdorflied“ von Oberpfarrer Gustav Beer (1909–1931) heißt.
Zum Gottesdienst war Zime nicht gekommen.
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