: Nächtelang Kannibalen-Filme
Off-Kinos in Berlin, Folge 5: Nur im Checkpoint läßt es sich in der Leipziger Straße aushalten, aber wie lange hält es das Checkpoint noch dort aus? Es lebe sein avanciertes Programm! ■ Von Thomas Winkler
Manchmal verlieren sich nur vier oder fünf Leute auf den 50 Plätzen im Checkpoint-Kino. Dann, erzählt Miriam Eich, kommen schon mal die depressiven Gedanken: „Wenn mir das Kino gehören würde, hätte ich schon lange zugemacht.“ Aber das Kino gehört ihr nicht. Eich hat nur eine ABM-Stelle.
Das Checkpoint, in der DDR ehemals ein Wohngebietsclub mit nur sporadischen Filmvorstellungen, untersteht dem Kulturamt Mitte, das aus den Veranstaltungsräumen in der Leipziger Straße mittelfristig ein soziokulturelles Haus machen will. Tagsüber funktioniert das Konzept schon recht gut. Yoga- und Seniorenkurse, Mieterberatung und Aerobic sind gut besucht, nur die abendliche Atmosphäre im Café gleicht der auf einer Beerdigung. „Wer alt genug ist, ein Bier zu trinken, fährt woanders hin“, meint Rainer Elstermann, der Eich seit zwei Monaten bei der Programmgestaltung unterstützt.
Wer jemals versucht hat, sich vor oder nach dem Kinobesuch in der Leipziger Straße zu vergnügen, kennt das größte Problem des Checkpoint: „Die Gegend und das Gebäude sind völlig unattraktiv“, klagt Eich. Die Lage in der kulturellen Brachzone verhindert größere Zuschauerzahlen, die Finanzen reichen nicht einmal für ein gut erkennbares, vielleicht beleuchtetes Schild über dem Eingang. Und daß der Club ein tägliches, avanciertes Filmprogramm anbietet, ist kaum zu erraten, wenn man vor der schmucklosen Glastür steht.
Dabei hat sich das Checkpoint in den Jahren nach der Wende einen nahezu kultischen Ruf erarbeitet. Der Wiener Carl Andersen, selbst Regisseur solch epochemachender Werke wie „Mondo Weirdo – Die Jungfrau am Abgrund“, zeigte eine „skurrile Mischung“ (Eich) aus klassischem Programmkino, langen Nächten mit Kannibalen-Filmen, obskuren Wiederentdeckungen, Splatter- und Horrorfilmen.
Andersen verließ das Checkpoint 1992, um sich wieder eigenen Projekten zuzuwenden. Seitdem kämpft Miriam Eich einen einsamen Kampf gegen geringe Zuschauerzahlen, störrische Verleiher und ausufernde Überstunden. Und gegen die ständige Finanznot.
Zwar werden die Gehälter von Eich und Elstermann von staatlichen bzw. bezirklichen Stellen übernommen, und auch Miete muß das Kino nicht zahlen, aber die Verleihkosten, Reparaturen und die Honorare für die wenigen Vorführer sollen über die Eintrittsgelder finanziert werden. „Wir kommen so über die Runden. Aber wenn eine Maschine kaputtginge, wären wir aufgeschmissen.“
Nicht nur die Pleite droht täglich, auch das Programm erfährt Einschränkungen: „Die meisten Filme, die man haben will, gibt es nicht mehr im Verleih. Oder nur in teuren Archiven. Das können wir uns nicht leisten.“ Auch Kopien aus dem Ausland zu besorgen, wie es das Eiszeit und einige wenige andere Kinos machen, ist zu teuer und zu aufwendig für das kleine Checkpoint. Die geringe Saalgröße verhindert zudem selbst Erstaufführungen von kleineren Produktionen, an denen die großen Ketten kein Interesse haben. So lief „Exotica“ von Atom Egoyan für Checkpoint- Maßstäbe geradezu sensationell, aber der Verleih empfand die durchschnittlich 30 Zuschauer, immerhin eine Auslastung von 60 Prozent, als Katastrophe.
So bemüht sich Eich auch notgedrungen, Filme zu zeigen, „die lange nicht gelaufen sind“. Denn „je spezieller das Programm, desto mehr kommen“, auch wenn sich diese Erkenntnis nicht verallgemeinern läßt. Um für ihre Ausgrabungen die nötige Presse zu bekommen, versucht sie „immer thematisch zusammenhängende Reihen zu machen, weil einzelne Filme gar nicht hinhauen“.
Und Elstermann hat in seiner Zeit als Vorführer festgestellt, daß „die wenigen Leute, die dann kommen, sich aber auch sehr freuen, daß die Filme überhaupt laufen“. So war John Travolta ein großer Erfolg: „Ein Kino voller Ostler, die die Songs in ,Grease‘ mitsangen.“ Während Eich die Reihe zusammenstellte, mußte sie feststellen, daß die letzte deutsch synchronisierte Kopie von „Saturday Night Fever“ vernichtet worden war: „Es ist oft erschreckend. Man ruft an, will einen relativ neuen Film, und dann gibt es ihn einfach nicht mehr.“
Auf einen der größten Flops in der Geschichte des Checkpoint ist Eich noch heute besonders stolz. Ihre allererste Reihe war Marquard Bohm gewidmet. Das war, bevor „Rote Sonne“ neu in die Kinos kam. Aber niemand wollte damals Filme mit dem Mann sehen, der zum Ende der Sechziger als der deutsche Belmondo gehandelt worden war.
Erst später, als Eich ein Programm mit teilweise denselben Filmen unter dem Etikett „68“ verkaufte, fanden sich auch Zuschauer. Und Bohm selbst kam zum Publikumsgespräch. Das war „zwar weniger politisch, aber 68 Bochum revisited“. Auch Rudolf Thome und Tilda Swinton beehrten das Checkpoint schon persönlich.
Hin und wieder war Eich ihrer Zeit sogar voraus. In einer Ed- Wood-Reihe zeigte sie „Plan 9 from Outer Space“, „Bride of the Monster“ und „Glen or Glenda“. Womit andere Kinos jetzt gute Kasse machen, das war im Checkpoint vor zweieinhalb Jahren „ziemlich schlecht besucht“. Eich sieht die Zukunft, auch ihres Kinos, denn auch eher düster: „Es gibt keine Neugier mehr auf alte Sachen.“
Weitermachen wird sie trotzdem: „Es ist total frustrierend. Manchmal hab' ich Lust, alles hinzuschmeißen, aber dann ist es mal wieder ausverkauft. Das kommt zwar nur alle vier Monate vor, aber da zehrt man von.“
Am 31. 8. beendet das Checkpoint die Sommerpause mit Filmen von Woody Allen. Adresse: Leipziger Straße 55, Mitte
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