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Metropole vorm Kopf oder das „Berlin Ticket“ und ich

Gestern morgen wurde mir an dem U-Bahnhof, von dem aus ich üblicherweise zur Arbeit pendele, ein Ticket in die Hand gedrückt. Es ließ sich beim besten Willen nicht in den Fahrkartenentwerter schieben. Außerdem hatte ich schon eine Umweltkarte. Also ließ ich das Ticket in meinem Rucksack verschwinden. Als ich ein paar Stationen weiter ausstieg, wurde mir schon wieder so ein überdimensionales Ticket in die Hand gedrückt. Ich nahm es und sah mich um. Auf allen Bahnsteigen hatten alle, wirkliche alle, so ein Ticket. Und: Sie blätterten darin!

Dies tat ich auch, nachdem ich das zweite Ticket in den Mülleimer geworfen hatte. Das Ticket war „Berlin Ticket“, die neue Programmzeitschrift aus dem Hause „Tagesspiegel“. Sie soll den etablierten Stadtmagazinen „Zitty“ und „Tip“ Konkurrenz machen und dem „Tagesspiegel“ wohl LeserInnen zuführen, die ruhig auch mal unter 50 Jahre alt sein dürfen. „Ticket“ erscheint wöchentlich, kostet eine Mark und ist für „Tagesspiegel“-AbonnentInnen umsonst.

„Berlin Ticket“ macht alles so wie die Konkurrenz, nur in jeder Hinsicht dünner, ohne irgendeinen Kompentenzschwerpunkt. Alles drin, alles angerissen – eben ohne die Reste „alternativer“ Geschichte, die die anderen manchmal noch pflegen. Was man hier liest, kann man auch U-Bahn-Plakaten oder den üblichen Gratisbroschüren für Touristen entnehmen.

„Berlin Ticket“ macht verzweifelt auf jugendlich. RedakteurInnen Mitte 30 versetzen sich noch mal in ihre Schülerzeitungszeit: „Aus dem Lagerleben“ ist eine Kolumne überschrieben, die den Redaktionsalltag samt Call-a-Pizza etc. schildert. Unter einer anderen Kolumne steht als Autorenname „Mallorca Joe“. Ebenso arg gewollt: der regelmäßige Bericht vom Stehempfang der Woche („Stehrumchen“!) und „Speaker's Corner“, die Ecke, wo sich berufsberlinernde VIPs so auskotzen dürfen, daß es bloß nicht ausgekotzt klingt. Auch eine Reportage von den Dreharbeiten des neuesten Detlev- Buck-Films im Stil der Frontberichterstattung kann da nichts rausreißen. Bei Buck gehe es um die „Provinz im Kopf“, heißt es da. „Ticket“ hat laubsägeholzdünn „Metropole vorm Kopf“. kotte

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