: „Ein drittklassiges Problem“
Butros Ghali nimmt die sexuelle Belästigung von UN-Mitarbeiterinnen nicht ernst. „Vertuschen und lügen“ lautet die Devise ■ Aus Genf Andreas Zumach
Seit über fünf Jahren kämpft Gabriele Mussnig einen zähen Kampf – mit der Weltgesundheitsorganisation WHO, eine der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen. Sie will erreichen, daß die sexuelle Belästigung durch ihren Vorgesetzten offiziell anerkannt, sie selbst voll rehabilitiert und der Täter zur Rechenschaft gezogen wird. Bislang vergeblich. 1990 hatte die damals in Angola stationierte deutsche Mitarbeiterin der Genfer WHO beim zuständigen Disziplinarausschuß der Organisation ihren Vorgesetzten, den Angolaner Dr. E. Eben-Moussi, wegen sexueller Belästigung und Übergriffe verklagt. Über ein Jahr lang reagierte der Ausschuß überhaupt nicht – und lehnte es dann ab, sich mit der Klage zu befassen. Mussnig wandte sich an die für WHO-MitarbeiterInnen zuständige nächsthöhere Instanz, das Verwaltungstribunal der ebenfalls in Genf ansässigen Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Daraufhin wurde sie – auf Basis einer Beurteilung durch den von ihr beschuldigten Vorgesetzten – entlassen. Nach intensiven Untersuchungen gab das ILO-Tribunal Mussnigs Klage im Juli 1994 in vollem Umfang statt, kritisierte die WHO für die Handhabung des Falles und verurteilte die Organisation zur Zahlung von 25.000 US-Dollar Schadensersatz an Mussnig sowie zur Übernahme ihrer Anwaltskosten. Die WHO wurde verpflichtet, Mussnig wieder einen Arbeitsplatz zu geben, der dem gleichwertig ist, den sie bis zu ihrer Kündigung innehatte. Schließlich muß die WHO die Gehaltseinbußen in Höhe einer sechststelligen Dollarsumme nachzahlen.
Das für die WHO vernichtende Urteil wurde umgehend veröffentlicht. Doch die WHO läßt sich mit der Umsetzung viel Zeit. Bis heute erhielt Mussnig lediglich die Schadensersatzzahlung und ihre Anwaltskosten. Auf den größten Teil der Gehaltsnachzahlung wartet sie noch immer. Auch hat die WHO ihr bislang keinen gleichwertigen Posten angeboten. Statt dessen ordnete WHO-Generaldirektor Hiroshi Nakashjma im März dieses Jahres – neun Monate nach dem Urteil des ILO-Verwaltungstribunals – eine interne Untersuchung an und beauftragte damit den WHO-Disziplinarausschuß. Also just das Gremium, das die Befassung mit der Beschwerde Mussnigs bereits einmal abgelehnt hatte. Auch ein unter Verfahrensgesichtspunkten völlig unakzeptables Vorgehen. Denn Berufung gegen das Urteil des ILO-Verwaltungstribunals ist nach den UNO- internen Regeln eigentlich nur beim Verwaltungstribunal der UNO möglich, der höchsten Instanz innerhalb des UNO-Systems für die Behandlung von Disziplinarfällen.
Die WHO-interne Nachuntersuchung, bei der Mussnig nicht angehört wurde, führte zur Reinwaschung des Beschuldigten. „Die Ergebnisse der Ausschuß-Untersuchung könnten die Ansicht stützen, daß Dr. Eben-Moussi keine sexuelle Belästigung begangen hat“, erklärte der WHO-Generaldirektor im Juli in einer Presseerklärung. Dabei geht der geheime Untersuchungsbericht des Ausschusses, den die taz einsehen konnte, kaum auf die Frage der sexuellen Belästigung ein, sondern befaßt sich in erster Linie mit dem „Charakter“ der Klägerin.
Der Fall Mussnig ist der letzte von fünf Fällen, die seit 1992 über die UNO-interne Öffentlichkeit hinaus bekannt wurden. Nach Erkenntnissen der MitarbeiterInnen- Vertretungen sind diese Fälle lediglich die Spitze des Eisbergs von sexuellen Belästigungen und Übergriffen innerhalb der UNO sowie ihrer 30 Sonder- und Spezialorganisationen mit ihren weltweit rund 52.000 Beschäftigten. Seit 1990 gab es rund 500 Beschwerden. Mit Ausnahme des ehemaligen Protokollchefs der UNO in New York, Ali Timor, der Anfang 1994 im Aufzug des UNO-Hauptquartiers bei homosexueller Belästigung erwischt wurde, kommen in allen in den letzten 50 Jahren bekanntgewordenen Fällen die Beschwerden von Frauen und richten sich gegen Männer, fast ausschließlich gegen Vorgesetzte.
Nicht die Tatsache, daß sexuelle Belästigung im UNO-System ebenso vorkommt wie in Behörden, Medien, Parlamenten oder Unternehmen ihrer Mitgliedsstaaten, ist der eigentliche Skandal. UNO-Beschäftigte sind eben auch keine besseren Männer. Doch im Unterschied zu Institutionen in zahlreichen Mitgliedsstaaten existieren in der UNO weder sichere und repressalienfreie Beschwerdemöglichkeiten für die Opfer noch verläßliche Verfahren zur Untersuchung sowie zur Sanktionierung von Tätern und zur Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer. Die Dunkelziffer der Frauen, die aus Angst vor Repressalien gar nicht erst wagen, eine offizielle Beschwerde einzulegen, ist nach Erkenntnissen der MitarbeiterInnen- Vertretungen enorm.
Erschwerend kommt hinzu, daß Frauen sich auch nicht an ordentliche Gerichte wenden können, wenn der von ihnen beschuldigte Mann diplomatischen Status hat. Mit diesem Argument verhinderte UNO-Generalsekretär Butros Butros Ghali im Sommer 1994, daß ein New Yorker Gericht sich mit der Klage der UNO-Mitarbeiterin Carol Claxton befaßte. Claxton hatte sich 1988 beim zuständigen UNO-Disziplinarausschuß in New York über sexuelle Übergriffe durch den damaligen Untergeneralsekretär Luis Maria Gomez beschwert. Drei Jahre später monierte Claxton, daß Gomez, inzwischen ihr indirekter Vorgesetzter, ihre Beförderung verhindere. Beide Klagen wurden zunächst ebensowenig behandelt wie die von Mussnig in Genf.
Erst als Anfang 1992 eine New Yorker Zeitung über den Fall berichtete, sah sich Butros Ghali genötigt, eine externe Geheimuntersuchung anzuordnen. Die hiermit beauftragte irische Richterin bestätigte Anfang 1994 die Beschwerden Claxtons in vollem Umfang. Als der Report der Richterin bekannt wurde, trat Gomez sofort zurück. Ein Disziplinarverfahren gegen ihn wurde nie eingeleitet. Statt dessen erhielt er eine Pensionszahlung von 700.000 Dollar und einen Beratervertrag mit der UNO – angeblich nur für einen symbolischen Dollar pro Jahr. Auf Nachfragen von Journalisten mußte die UNO später zugeben, daß mit dem Beratervertrag ein Tagegeld von 240 Dollar verbunden war.
Butros Ghali selbst erkannte die Ergebnisse der von ihm angeordneten Untersuchung durch die irische Richterin nicht an. Als Claxton die UNO daraufhin vor dem New Yorker Gericht auf Schadensersatz verklagte, intervenierte der Generalsekretär unter Hinweis auf die diplomatische Immunität von Gomez. In einem Vergleich kurz vor Weihnachten 94 erkannte die UNO Claxton schließlich rund 200.000 US-Dollar Entschädigung zu – für Anwaltskosten sowie dafür, daß die Behandlung ihrer 1988 eingelegten Beschwerde so lange gedauert habe. In der entgegen einer Absprache mit Claxtons Anwältin Ellen Yaroshefsky veröffentlichten Pressemitteilung der UNO über diesen Vergleich kommt der Begriff „sexuelle Belästigung“ nicht vor. Daß sexuelle Belästigung stattgefunden hat, wird von der UNO bis heute nicht anerkannt.
Die gravierende Unterrepräsentanz von Frauen auf den mittleren und höheren UNO-Posten (siehe Kasten) verschärft das Problem noch und erschwert die Gegenwehr. Die wenigen Frauen, die es nach oben „geschafft“ haben, sind oft zur Solidariät mit ihren Geschlechtsgenossinnen nicht mehr in der Lage. Ein Beispiel hierfür ist die Leiterin der Informationsabteilung der UNO in Genf, Therese Gastaut. Die langjährige UNO-Mitarbeiterin wird auch als Sprecherin der Weltfrauenkonferenz in Peking fungieren. Auf Geheiß des Büros von UNO- Generalsekretär Butros Ghali belog Gastaut in den letzten 15 Monaten beharrlich die Medien über den Fall des Genfer UNO-Protokollchefs Mehmet Ülkumen. Ülkumen war von fünf Frauen sexueller Übergriffe beschuldigt und daraufhin letztes Jahr für lediglich sechs Wochen suspendiert worden. Laut Gastaut erfolgte die Suspendierung nur wegen „Verkehrsdelikten“. Bei dieser Lüge blieb die UNO-Sprecherin auch noch, als die taz ihr im Juni dieses Jahres Dokumente aus dem New Yorker Hauptquartier vorlegte, die eindeutig das Gegenteil beweisen.
Für Generalsekretär Butros Ghali sind sexuelle Belästigung und Übergriffe nur „ein drittklassiges Problem“. Mit dieser unwirschen Bemerkung reagierte er Anfang Juli auf einer Pressekonferenz in Genf auf die Frage, warum er sich weiterhin vor Ülkumen stellt und seine SprecherInnen in New York und Genf anweist, die Öffentlichkeit zu belügen. Ein drittklassiges und zumal kein politisches Problem ist das Thema aber auch für die allermeisten Mitgliedsregierungen und ihre (fast ausschließlich männlichen) Botschafter bei der UNO. Solange die Mitglieder das Problem in den UNO-Gremien nicht ansprechen und auf Veränderung drängen, wird diese ausbleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen