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Einzelheime oder Tüpfelrallen

■ Der BUND hält den Plan der Großen Koalition, in Brokhuchting 600 Häuschen ins Feuchtraumgebiet zu setzen, für schädlich und überflüssig

Die Tüpfelralle, ein das Tageslicht scheuender, ungern auffliegender Sumpfvogel, ist nicht nur selten. Sie lebt auch so geheim, daß man nicht einmal weiß, wie selten sie ist. Vogelkundler sind schon froh, wenn sie des Vogels peitschenartige Pfiffe zu Gehör bekommen. Es gibt allerdings einen Ornithologen in Hildesheim, der ist dermaßen auf Tüpfelrallen spezialisiert, daß er sogar ein breit angelegtes Tüpfelrallenberingungsprogramm durchführt. Dieser Mann ist auf einem seiner ornithologischen Streifzüge in Bremen fündig geworden. Genauer: Im nassen Eck zwischen Huchting und dem Güterverkehrszentrum (GVZ) gelang ihm eine Beringung. Bremer Ornithologen tuscheln sogar von insgesamt dreißig Tüpfelrallen, die sie zwar nicht gesehen, deren Stimmen sie aber schon gehört haben. Für Vogelkundler ein Fest. Leider soll jetzt direkt neben den Tüpfelrallen, in Brokhuchting, eine Siedlung mit 600 Einfamilienhäuschen entstehen. Das verkündete, im Juli und frisch an der Macht, die Große Koalition. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) erklärte gestern an Ort und Stelle der Presse, warum in Brokhuchting besser doch nicht gebaut werden soll.

Selbstverständlich geht es erstens um die Tüpfelralle. Und die Uferschnepfe. Und den Weißstorch. Das ins Auge gefaßte Siedlungsgebiet besteht heute aus feuchten Weiden, die einen Puffer bilden zwischen den Huchtinger Wohngebieten und den sogenannten Ausgleichsgebieten, die zum Beispiel den Flächenfraß des GVZ kompensieren sollen. Hier entstand für etliche Millionen ein hübsches Feuchtraumbiotop mit - genau - Tüpfelrallen. Fällt der Puffer weg, geht die Ralle stiften. Das vermutet der BUND.

Daß die Ecke so naß ist, liegt daran, daß sie so tief liegt. In der Tat handelt es sich theoretisch um ein Überschwemmungsgebiet der hier mäandernden Ochtum - das zum Beispiel bei einem „Jahrhunderthochwasser“ mit Schneeschmelze einerseits und einer Sturmflut andererseits gebraucht würde. Man sprach ja anläßlich der Jahrhundertüberschwemmung von Rhein, Mosel und Neckar viel von neu auszuweisenden Überflutungsräumen - das Land Bremen, findet der BUND, macht nun gerade das Gegenteil, indem es etwa ein Zehntel der gesamten Ochtum-Überflutungsfläche bebauen will. Damit zukünftige Siedler trockene Füße behalten, müssen ca. 100 ha Wiesen aufgeschüttet und neu eingedeicht werden.

Schließlich bezweifelt der BUND, daß der zusätzliche Wohnraum für etwa 2.000 Menschen überhaupt gebraucht wird. Gegenwärtig nähere sich das Wohnraumangebot der Nachfrage. Das Bremer Wohnungsbauprogramm (16.000 Wohnungen von 1990 bis 2000) hat über die Maßen gut funktioniert. In Arsten und in Findorff wird gebaut, in Borgfeld liegen Reserveflächen. Parallel kommen immer weniger Asylbewerber und Zuwanderer aus dem Osten und der Ex-DDR hierher.

Das Thema Wohnbebauung Brokhuchting ist übrigens keineswegs neu. Die Ampelkoalition hatte es bei den Koalitionsberatungen besprochen und ad acta gelegt. Die Fläche wurde für ökologisch zu wertvoll gehalten; und der Plan, lauter kleine Häuschen auf die grüne Wiese zu setzen, galt als überholt. Die Stadt kostet die Erschließung eines ganz neuen Gebietes Unsummen. Für eine gute Infrastruktur (Schule, Kindergarten, sozialer Mittelpunkt etc.) bliebe gewiß nichts übrig. Und stadtsoziologisch ist die Monokultur lauter isolierter Einzelhäuschen von gestern. Ralf Fücks, in der Ampel Senator für Stadtentwicklung, warnt eingedenk der Tristesse der Schlafsiedlungen in Oyten vor einer „Veroytisierung Bremens“. (Die Grünen wollen die Brokhuchting-Siedlung in der Bürgerschaft ablehnen.)

Noch-Staatsrat Jürgen Lüthge, der im Juli für seine Baubehörde das Projekt Brokhuchting öffentlich vorstellen durfte, will mit den kleinen Eigenheimen vor allem die Familien mit Kindern abfangen, die zuhauf ins Umland abwandern und dort ihre Steuern zahlen. Daß zur Zeit allgemein immer weniger Leute bauen wollen, stört ihn nicht. Die Warnung des BUND vor zuviel Wohnraum sei ein „Schwachsinn, den wir alle paar Jahre haben“; beim Wohnungsbau gebe es immer magere und fette Jahre. Und die Tüpfelralle, Herr Lüthge? Herr Lüthge gilt als ausgewiesener Vogelfreund, ja Vogelkenner, kann die Brandgans vom Austernfischer unterscheiden und hat eine ornithologische Reise nach Israel unternommen. Herr Lüthge empfiehlt für die Tüpfelralle „Ausgleichsmaßnahmen“. Ansonsten verweist er auf die zuständige Naturschutzbehörde.

BuS

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