Es wird weitergeröntgt

■ Justiz rechtfertigt Zwangsröntgen Falschbeurkundung gehen weiter

Etwa 20 jugendliche Asylbewerber, die von einer Sondereinheit der Bremer Polizei verdächtigt wurden, eine falsche Altersangabe gemacht zu haben, wurden in diesem Jahr auf richterliche Anordnung zwecks Altersfeststellung geröngt (s. taz vom 12.8.95). In nahezu allen Fällen, teilte gestern Justizstaatsrat Michael Göbel auf einer Pressekonferenz mit, sei Anklage wegen schwerer mittelbarer Falschbeurkundung in Tateinheit mit Betrug erhoben worden. Ein einmaliges Vorgehen, das Bremen bundesweit in die Schlagzeilen gebracht hat.

Obwohl das Zwangröntgen von der Hamburger Ärztekammer „berufsrechtlich als Körperverletzung“ eingestuft und vom Deutschen Ärztetag geächtet wurde, will man in Bremen daran festhalten. Die Argumentationen beider Institutionen klassifizierte Göbel als “ziemlich dünn“, sie seien zudem auf Anfrage des Bremer Justizressorts relativiert worden, erklärte der Staatsrat. Jedenfalls teilen, erklärte Göbel, weder Justizsenator Henning Scherf noch Sozialsenatorin Tine Wischer die von der Ärzteschaft geäußerten grundsätzlichen Bedenken. „Wir sind und einig, daß Röntgenuntersuchungen zu strafprozessualen Zwecken nicht unzulässig ist.“

Tine Wischer hält allerdings das Röntgen als Mittel zur Altersfeststellung für wenig geeignet und will die kommunalen Krankenhäuser darauf hinweisen. Professor Freyschmidt aber, der bislang an der Klinik Sankt-Jürgen-Straße die Röntgenuntersuchungen vorgenommen und nur zwischenzeitlich auf Intervention der ehemaligen Sozialsenatorin Irmgard Gaertner eingestellt hatte, signalisierte gegenüber dem Justizressort erneut Bereitschaft.

Auch die noch drei bis fünf offenstehenden Strafverfahren will man in Bremen weiterverfolgen. Den von der Staatsanwaltschaft Vorwurf des Betruges, der eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren nach sich ziehen kann, sehen Staatsrat Göbel und der Generalstaatsanwalt Hans Janknecht als gerechtfertigt an: Dadurch, daß Jugendliche unter 16 Jahren nicht in andere Städte umverteilt in einer betreuten Wohneinrichtung untergebracht würden, die mit 120 Mark täglich sehr viel mehr koste als die normale Unterbringung in einer Sammelunterkunft, entstehe ein „erheblicher Schaden“.

Wie hoch der ist, vermochten beide Juristen jedoch nicht zu sagen. Das sei ein Nebenproblem, winkten sie zum Erstaunen der anwesenden JournalistInnen ab. Schließlich hatte dieses „Nebenproblem“ zur bundesweit einmaligen Praxis der strafrechtlichen Verfolgung geführt, und es ist Sache der Juristen, diesen Schaden nachzuweisen. Sollte der gering sein und etwa nur ein paar hundert Mark betragen, wäre zu fragen, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beim Einsatz des Zwangsröntgens als Beweismittel noch gewahrt ist.

Staatsrat Göbel bemerkte, „der Ausgang der gerichtlichen Verfahren lasse sich mangels statistischer Daten nicht exakt feststellen“. Obwohl nach eigenen Angaben nur noch etwa drei bis fünf Verfahren ausstehen, können weder Göbel noch Janknecht einen Fall nennen, bei dem es zu einer Verurteilung gekommen wäre. Fakt ist, daß erst kürzlich ein Richter die Betrugsklage gar nicht erst zuließ. Bezüglich des Vorwurfs der Falschbeurkundung kam es zum Freispruch, denn dem jungen Asylbewerber konnte nicht nachgewiesen werden, daß er eine falsche Altersangabe gemacht hatte, und dies auch noch wissentlich. Für den Vorwurf der Falschbeurkundung aber gilt das gleiche wie für den des Betruges: Für eine Verurteilung müßte der Vorsatz bewiesen werden.

Das wird kaum möglich sein. Wahrscheinlich deshalb wird Bremen nur solange mit dem Zwangsröntgen fortfahren, bis die Ausländerbehörde ein, so Göbel, „neues Verfahren“ praktiziert: „Die setzen einfach ein fiktives Datum fest“.

Dora Hartmann