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Schließ dein Herz auf, laß die Liebe herein

■ Woher komm' ich, wohin will ich? Romantisch-ernsthaft verhandelt Herwig Kipping in seinem Film „Novalis – Die Blaue Blume“ die großen Fragen des Lebens

Dem neuen Film von Herwig Kipping waren interessante Gerüchte vorangeeilt. Auf der einen Seite sei seine „Blaue Blume“, die erst zwei Jahre nach ihrem Entstehen in die Kinos kommt, völlig ernsthaft romantisch und durchgedreht: mit Sinnfragen, nackten Frauen als Schmetterlingen und allem Pipapo. Auf der anderen Seite, so erzählten die, die den Film schon vorher gesehen hatten, habe „Novalis – Die Blaue Blume“, gegen die Intention des Regisseurs vermutlich, alles, um eine Art Trash-Kultfilm zu werden.

Wie meist verhält es sich ein bißchen anders. Sicher enthält der Film bedeutungsschwangere Bilder und Dialoge, über die sich die Blöden zynisch lustig machen werden. „Woher komm' ich? Wohin will ich? Was ist das Geheimnis des Lebens? Was ist das Geheimnis des Todes? Muß alles, was wir lieben, zugrunde gehen? Muß uns die Liebe immer ins Unglück stürzen?“, fragt sich der Held Friedrich von Hardenberg, also Novalis, in nebelumwaberten Kirchenruinen.

Herbert Achternbusch verdreht, verkehrt und verschiebt die blaue Blume der Romantik in seinem wunderbarem Super-8-Film („Blaue Blumen“) – sie ist „das Gegenteil von einem Salzhering, von einem Bratwürstl oder sonstwas“. Kipping hingegen bleibt in der Romantik. Das heißt nicht, daß „Die Blaue Blume“ nun ein unkritischer Historienfilm ist: Immer wieder verweist Kipping auf Parallelen zwischen deutscher Romantik und dem Nationalsozialismus, immer wieder gibt es Bilder aus der Jetztzeit, immer wieder schiebt sich Heavy-metal-artiges zwischen die Walzer, die dem Film etwas Leichtes geben. Sondern es heißt, daß die Lebensfragen, die den Filmer umtreiben, eben die der Romantik sind. „Es geht darum, zu erfahren, weshalb wir hier sind, welchen Sinn das alles hat, warum wir auf Erden sind“, so Kipping in einem Gespräch. Und: „Die Blaue Blume ist der Schlüssel, mit dem du dir dein Herz aufschließen kannst. Die Blaue Blume schließt das Tor zum Himmel weit auf und läßt die Liebe herein. In jedem von uns blüht sie.“

Seltsam an diesen Fragen ist nicht unbedingt ihre Bedeutung; seltsam sind die völlig verbrauchten, erledigten Worte, die Kipping verwendet. So ausgelutscht sind diese Worte inzwischen, so sehr ist es zynischer common sense geworden, sie für völlig bescheuert zu halten (und mit ihnen die Sinnfragen), daß sie plötzlich wieder eine neue Schönheit bekommen. Es würde zu weit führen, zu erklären, weshalb „Novalis – Die Blaue Blume“ um Klassen besser ist als beispielsweise die letzten Wenders-Filme. Es sei hier nur ganz entschieden behauptet.

„Die Blaue Blume“, um noch kurz auf den Film zu kommen, handelt von Novalis (Christoph Schiller), der als Amtmann sinnlose Akten zu schreiben hat, mit denen er häufig um sich wirft. Den Lebensvorgaben des gestrengen Vaters, der seinen Kopf in einen Bottich voll Blut taucht, um ihm die Zehn Gebote einzubläuen, will er sich nicht unterwerfen; der Coitus mit der Mutter (Eva Maria Hagen) wird jäh unterbrochen. Novalis verliebt sich unsterblich in die vierzehnjährige Sophie von Kühn, die in einem Schloß lebt, in dem besonders schöne schabernacktreibende Mädchen gedeihen. Weil Liebe und Tod in der unbedingten romantischen Liebe zusammengehören, stirbt das Mädchen am Ende, und die Vereinigung findet im Traum nur statt.

Wie schon in seinem mit dem Bundesfilmpreis gekrönten „Land hinter dem Regenbogen“ (1992), ist alles sehr theatralisch, farbenfroh, felliniesk, und der Film ist stets kurz davor abzustürzen, durchzudrehen. Lange weiß man nicht so recht, ob man das nun völlig bescheuert oder toll findet – und entscheidet sich irgendwann für letzteres. Was nicht zuletzt auch ein Verdienst der sehr musikalischen Kamera ist: Immer wieder gibt es recht psychedelische Fish- eye-Passagen, die an wilde LSD- Filme und Plattencovers aus den siebzigerJahren erinnern.

„Die Blaue Blume“ ist also ganz großartig. Irgendwann war ich mir dann nicht mehr so sicher, ob das alles von Herwig Kipping nicht doch mitbedacht worden ist. Detlef Kuhlbrodt

„Novalis – Die Blaue Blume“. Regie: Herwig Kipping. Balasz, Brotfabrik, Eiszeit, Steinplatz

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