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Abschiebeknast als Beugehaft

■ Obwohl Abschiebungen unmöglich sind, nimmt die Ausländerbehörde SerbInnen in Abschiebehaft / Verwaltungsgericht: Gesetzlich nicht gedeckter Freiheitsentzug / "Asyl in der Kirche" stellt Strafanzeige

Obwohl Abschiebungen nach Restjugoslawien faktisch nicht möglich sind, nimmt die Ausländerbehörde Flüchtlinge aus dieser Region in Abschiebehaft. Fikret K. zum Beispiel saß fast drei Wochen in Haft, bis er am letzten Freitag nach Intervention des Verwaltungsgerichts freigelassen wurde.

Die 19. Kammer des Gerichts hatte der Ausländerbehörde schon in früheren Entscheidungen ins Stammbuch geschrieben, daß eine „Festnahme von serbischen Staatsanhörigen und ihre zwangsweise Verbringung zum Flughafen zwecks Durchführung ihrer Ausreise in die Bundesrepublik Jugoslawien (...) einen gesetzlich nicht gedeckten Eingriff in die Freiheit der Person der Antragsteller darstellt, da die Abschiebung von serbischen Staatsangehörigen in ihre Heimat auf direktem Wege oder über Anrainerstaaten derzeit nicht möglich ist“.

Die Ausländerbehörde benutze die Abschiebehaft als Beugehaft, kritisiert der Arbeitskreis „Asyl in der Kirche“. Unter dem Druck der Festnahme und der Abschiebungsandrohung sollten die Flüchtlinge aus Restjugoslawien zur freiwilligen Ausreise gedrängt werden. Ein Schreiben der Ausländerbehörde an das Oberverwaltungsgericht bestätigt jetzt indirekt diesen Vorwurf. Es müsse, schreibt die Behörde, „zumindest eine Abschiebung mit der Überlegung versucht werden, daß der Ausländer seine Haltung während der begonnenen Zwangsmaßnahme noch ändern kann und sich der Maßnahme dann freiwillig fügt“. „Asyl in der Kirche“ hat Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung gegen die Ausländerbehörde erstattet. Hintergrund des Konflikts: Im Gegensatz zu den übrigen Bundesländern und anders als selbst das „schwarze“ Bayern, erteilt Berlin keine Duldungen mehr für Flüchtlinge aus Serbien und Montenegro. Mit Wissen der Behörden leben die Betroffenen damit in einem Zustand der Illegalität. Immer wieder werden einige von ihnen aufgefordert, mitsamt ihres Reisegepäcks bei der Ausländerbehörde zu erscheinen, „Einladungsabschiebung“ nennt das die Behörde.

Abschiebungen direkt nach Belgrad sind jedoch unmöglich, da Serbien die Aufnahme all derer ablehnt, die nicht freiwillig zurückkehren. Auch die Anrainerstaaten Bulgarien, Rumänien und Ungarn lassen die Flüchtlinge nur dann passieren, wenn sie freiwillig einreisen. Da die zwangsweise Rückführung in diese Länder scheitern muß, hat das Bundesinnenministerium dem Bundesgrenzschutz untersagt, bei den Berliner Abschiebeversuchen in diese Länder den uniformierten Begleiter zu spielen.

Um die Flüchtlinge dennoch loszuwerden, hat Berlin bisher einen Trick angewandt: Gegenüber den Anrainerländern werden die Abschiebungen als freiwillige Ausreise deklariert. Die Flüchtlinge werden als normale Touristen nach Sofia geschickt und sollen dann – ausgestattet mit einer Bahnfahrkarte – auf eigene Faust auf dem Landweg nach Serbien oder Montenegro weiterreisen.

Da wirkliche Abschiebungen unmöglich seien, hatte das Abgeordnetenhaus Ende Juni nach einer Expertenanhörung den Innensenat aufgefordert, Flüchtlingen aus Restjugoslawien Duldungen zu erteilen. Dieser Empfehlung will Innensenator Heckelmann (CDU) sich jedoch widersetzen. Zunächst hatte seine Behörde alle Zwangsmaßnahmen gegen Flüchtlinge aus Restjugoslawien gestoppt. Jetzt jedoch teilte der Innensenator Parlamentspräsidentin Laurien schriftlich mit, es sei „rechtlich ausgeschlossen, der Aufforderung Folge zu leisten.“ Heckelmann beruft sich dabei auf die (umstrittene) Rechtsprechung des Berliner Oberverwaltungsgerichts. Dessen 8. Senat hatte argumentiert, da Flüchtlinge aus Restjugoslawien ja freiwillig in ihre Heimat zurückkehren könnten, lägen auch keine Abschiebungshindernisse vor – und wo keine Abschiebungshindernisse, da keine Duldung. Einen Freibrief für Festnahmen und Abschiebeversuche unter dem Deckmantel der freiwilligen Ausreise, wie sie die Ausländerbehörde jetzt wieder praktiziert, gibt jedoch auch das Oberverwaltungsgericht nicht. Vera Gaserow

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