: Und wenn Sie mir nun bitte folgen würden...
Millionen Touristen lassen sich mit Ludwig-Märchen abfüttern. Ein Museumsführer verrät, wie man das macht ■ Von Detlef Vetten
Der Kini wußte schon, warum er die Leute nicht gemocht hat.
Weil: Wo die Leut' sind, findet alle Märchenhaftigkeit ein End'. Drum hat sich Ludwig II. von Bayern, der Kini, seinerzeit ganz stille Herrgottswinkel in seinem Heimatlande ausgesucht, in die er seine Schlößlein hat bauen lassen. Dorten verschanzte er sich dann vor der Welt und ihren Leuten. Hat ihm auch nichts genützt. Weil: Sie hat ihn erwischt, die Welt, und – wie sattsam bekannt – für verrückt erklärt und in seinen mysteriösen Suizid im Starnberger See getrieben
Oder war's doch üble Meucheltat eines Königsmörders? Sei es drum!
Die Schlösser sind stehen geblieben, weil sich keiner nach des Kinis Ableben um den Willen der Majestät bekümmerte und gemäß königlicher Verfügung die Prachtstücke in den bayerischen Himmel sprengte. Also hat die Bayerische Schlösserverwaltung die Immobilien immer noch an den Hacken. Die Herrschaften machen das Beste draus: Man läßt die Leut' rein. Zockt ihnen bauernschlau die letzten Heller aus dem Urlaubsportemonnaie. Und suggeriert ihnen, sie bekämen dafür Märchenhaftes geboten.
Schmarrn! Es hat sich nichts geändert seit Ludwigs Zeiten. Wo die Leut' sind, wird's ungemütlich. Das war so, das ist so, und das wird so bleiben auf immerdar.
Ich kann ein Liedlein davon singen. Ein halbes Jahr lang habe ich in einem Königsschloß Dienst getan. Als einer von einem Dutzend Führern habe ich die Menschen durch das schmucke Linderhof geleitet, ihnen in der Grotte den Weg gewiesen, sie zum Maurischen Kiosk begleitet, „Grüß Gott meine Damen und Herren, herzlich willkommen auf Linderhof, einem der drei herrlichen Schlösser, die König Ludwig II. von Bayern hat errichten lassen. Die beiden anderen, wie Sie wahrscheinlich wissen, sind Herrenchiemsee und Neuschwanstein bei Füssen.
Hier aber, im Linderhof, hat sich Ludwig II. am wohlsten gefühlt. Während wir nach oben in die Gemächer seiner Majestät gehen, werde ich Ihnen ein bisserl über den Kini erzählen.
Und wenn Sie mir nun bitte folgen würden...“
Nichts hat sich geändert. Tagein, tagaus wird das gleiche Theater um den König aufgeführt. Jeder – und sei es der geringste Schloßführer – trägt sein Scherflein dazu bei, das Phänomen Ludwigzwo zu vermarkten. Die Abermillion Touristen, die sich während der Urlaubsmonate über die royalen Gemarkungen schieben, werden mit einem kleinen persönlichen Königserlebnis verköstigt und – um einen hübschen Obolus erleichtert – wieder heimgeschickt.
In diesen Tagen schwillt das Getöse zu wagnerianischem Crescendo. Weil der Kini heute vor 150 Jahren geboren wurde, überschlägt sich das treue Gefolge geradezu vor Wollust. Bilder von satter Buntheit füllen seriöse Nachrichtenmagazine. Bei arte räumt man ganze Abende für Ludwig frei. Konstantin Wecker komponiert zu Diensten von Majestät und Mammon ein Mammut-Musical. Konditoren im Dunstkreis der Schlösser kreieren Ludwigstorten und -pralinees. Fremdenverkehrsdirektoren denken sich königliche Happenings aus.
Und die Fans pilgern und pilgern und pilgern. Zum Beispiel nach Linderhof.
Morgens um neun steht die Vorhut ante portas und macht der schönen Stimmung in der Ammergauer Bergwelt ein Ende. Drinnen im Schlafzimmer staubt die Frühschicht der Schloßführer noch das Porzellan ab, unten wird die hohe Flügeltür für den ersten Schwung geöffnet.
Die Frühkundschaft ist nicht gerade beliebt. Meistens sind diese fünfzig Menschen ein zusammengewürfelter Haufen, der sich nicht so leicht lenken läßt. Da treffen bildungsgierige Streber (die schon am Morgen das Lernen nicht lassen können) auf Souvenir-Abhaker (was du heute kannst besorgen... man guckt schnell mal beim Kini vorbei, dann hat man auch das erledigt), die ersten Wandersleute sind dabei.
Es dauert – gerade bei solchen gemischten Touren –, bis sich die Gemeinschaft auf Zeit miteinander arrangiert hat. Es dauert, bis der Führer seinen Ton gefunden und der Streber den Platz an dessen Seite installiert hat. Alleingänge der Wandersleute sind zu unterbinden, die Souvenir-Abhaker sind durch ein paar schale Scherze bei Laune zu halten. („Jaja, das Sparen hat er nicht gerade erfunden, wie Sie sehen.“)
So ein Tag in Diensten seiner Majestät läßt sich zumeist zäh an. Wenn du aber dann mit deiner Vorhut nach der Runde durch die königlichen Gemächer zurückkehrst zur schön geschwungenen Treppe, ist schon mächtig Betrieb im Castle. Es raunt und hüstelt, es schiebt und schlurft. Aus allen Zimmern sind die Stimmen der Kollegen zu hören.
Die nette blonde Studentin, die sich allmorgendlich als Unschuld aus dem Dirndl-Land verkleidet, säuselt etwas über Tischleindeckdich. Der hauptamtliche Herr Fichtl mit seiner Baßstimme dröhnt Schwülstiges über Ludwigs Liebe zu Wagner durchs Musikzimmer. Die herzerfrischend natürliche Mittvierzigerin aus dem Ammertal hat wieder mal ein schwindelerregendes Dekolleté und braucht gar nicht so viel Wichtiges zu erzählen.
Und die Menschen gucken, drängeln, tatschen.
Sie streichen mit den Fingerspitzen über Seidentapeten und Marmor unterschiedlichen Ursprungs. Sie glotzen aus dem Fenster auf den Schloßplatz, wo irgendwann die Fontäne spritzen soll. Sie flüstern, tuscheln, kichern – und fast immer findet sich irgendwann ein ganz Mutiger, der immer dieselben Fragen stellt, stellvertretend auch für die schweigsamen Gaffer. Wer auf diesem oder jenem Portrait zu bewundern sei? Ob denn der König ehrlich verrückt sei? Wie Ludwig denn nun wirklich zu Tode gekommen sei?
Gute Frage, gibt ein Museumsführer dem Menschen taktisch zu verstehen – und verpaßt ihm eine Standardantwort. Wobei sich – und das ist eines der Geheimnisse des Ludwig-Phänomens – der Bayernkönig trefflich für mehrere Versionen eignet.
Seine Getreuen (deutsche Wertkonservative, Germanophile, Japaner mit Kameras, Engländer) hören's gern so: Man kann nicht behaupten, Ludwig sei verrückt gewesen. Exzentrisch, das ja. Er wollte das Außergewöhnliche. Und dafür hat er auch in Kauf genommen, daß ihn die Umwelt für verrückt erklärte. Deswegen bestehen auch heute noch Zweifel an der offiziellen Version seines Selbstmordes. Absolute Sicherheit hätte die Nachwelt erst, wenn die Wittelsbacher ihr Geheimarchiv öffneten.
Für die boulevardeske Kundschaft (Amerikaner jeden Alters und Geschlechts, Franzosen, geübte Bild-Leser) hat der gewiefte Führer eine lebensprallere Ludwigs-Ballade parat: Klar war der King – übrigens an seinem Lebensende ein ziemlich häßliches, fettes, zahnloses Monstrum – ein bißchen bescheuert. Hat mit imaginären Tischgenossen getafelt, hat die Nacht zum Tag gemacht, hat sein Lieblingsroß von seinem Tellerchen grasen lassen. Der King ist ganz irre geworden an seiner Homosexualität, die er nur heimlich mit den Reitburschen ausleben durfte. Und als er mit seinem Seelenklempner Dr. Gudden ins Wasser ging, war das nur noch die letzte logische Station in seinem entgleisten Leben.
Das erzählt denn ein erfahrener Schloßführer seiner Kundschaft. Am schmalen Hinterausgang des Schlosses trickst er den Touristen ein Trinkgeld aus dem Portefeuille und entläßt zufriedene Menschen in die Realität. Er hat ihnen den König gegeben, den sie wollen. Sie haben Ludwigs Marmor begrabschen dürfen. Sie haben die Geschichten über den Kini gehört, die sie hören wollten. Sie haben endlich mal einen – wenn auch toten – Superstar zu Hause besuchen dürfen.
Und so wälzt sich das Business durch das herrliche Linderhof mit seinem Castle und der Grotte und dem Kiosk und dem Park. Auf dem Parkplatz kassieren die Parkplatzwächter, im Souvenirshop kassiert der Ladenhüter, im Hotel kassiert die müde Kellnerschar. Kinder quengeln, Eltern drängeln, Busfahrer verpennen das ganze Spektakel. Der Wandersmann hechelt durch die Laubengänge. Die Amerikanerin zeigt rosa Waden und neonfarbene Radlerhosen. Ein Herr posiert vor dem Brunnen. Manchmal geht nachmittags ein Gewitter übers Tal, und hernach stinken die feuchten Klamotten der Touristen wie die von Pennern.
Und halb sechs abends führt einer die letzte Hundertschaft Besucher durchs Schloß. Nach zwanzig Minuten komplimentiert er sie zum Hintertürchen hinaus. Die Rolläden rasseln herunter, die Alarmanlage wird eingeschaltet, das Gitter am Portal fällt zu. Die Führer schlurfen zu ihren Autos. Im Souvenirladen, im Hotel, an der Kasse wird der letzte Heller abgerechnet.
Ein paar Vögel erzählen sich noch was. Zur halben Stunde spritzt die Fontäne. Die Sonne macht noch eine Weile Licht und taucht schließlich hinter dem Scheinberg ab. Ruhe kehrt ein auf Linderhof.
Märchenhafte Ruhe.
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