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Jörg Haiders Heimkehr ins Ost-Reich

Der oberste Rechtspopulist Österreichs hat eine ideologische Wende vollzogen: Deutschnationalimus ist out, „Österreichbewußtsein“ in. Eine demokratische Läuterung ist dies nicht  ■ Aus Wien Robert Misik

Beinahe wäre der Kurswechsel des Jörg Haider unbemerkt geblieben. Denn sosehr er für seine Anhänger der messianische Hoffnungsträger ist, sosehr ist er für seine Gegner der allseits bekannte Dunkelmann – Ambivalenzen werden da wie dort nicht wahrgenommen. Deshalb brauchte die österreichische Öffentlichkeit eine Frist von vielen Wochen, um zu realisieren, daß der Vormann der Freiheitlichen darangeht, praktisch den gesamten Traditionsbestand seiner Partei über Bord zu werfen.

Haider will vom Deutschnationalismus, dem jahrzehntelangen ideologischen Grundbestand der vormaligen Freiheitlichen Partei (FPÖ), die sich nunmehr „Freiheitliche Bewegung“ nennt, nichts mehr wissen. Diesen Schwenk kündigte er ausgerechnet in einer deutschen, noch dazu SPD-nahen Zeitschrift an. Die von der Ebert- Stiftung herausgegebene Reihe „Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte“ produzierte ein Österreich- Sonderheft und hatte zu diesem Zweck Haider zum Streitgespräch geladen. Bei diesem fielen dann die entscheidenden Worte: „Ich möchte einen österreichischen, patriotischen Weg gehen und nicht einen großdeutschen Weg.“

All das aber, was er bisher vertreten hatte, nannte Haider nun ein „Problem“: „Mein Problem bestand darin, daß ich eine Partei geerbt habe, die eine starke großdeutsche Tradition hat.“ Zwar gäbe es noch immer die gemeinsame, deutsch-österreichische Geschichte, doch daraus ließe sich „für unsere Zukunft“ nichts mehr ableiten. „Ich betrachte Österreich nicht als den dritten deutschen Staat.“

Eine scharfe Wende – und konsequent zugleich. Eine Wende deshalb, weil die FPÖ (und ihr Vorgänger, der „Verband der Unabhängigen“ (VDU) nach 1945 als Neugründung des traditionellen „Dritten Lagers“ wiedererstand, also des deutschnationalen Milieus. Ja mehr noch: als Sammelbecken heimatloser Ex-Nationalsozialisten.

Selbst Haiders langjähriger Grundsatzreferent, Andreas Mölzer, räumt ein, die FPÖ-Vorgängerpartei habe „die Belange des nationalen Lagers und der ehemaligen Nationalsozialisten“ vertreten.

Dies ist ein Spezifikum der politischen Kultur Österreichs, weil nach dem Zerfall der Vielvölkermonarchie der Habsburger so etwas wie ein „Österreich-Nationalismus“ nicht entstehen konnte. „National“ hieß in Österreich immer „deutschnational“. Daran änderte sich bis in jüngste Tage nichts. Im aktuellen FPÖ-Programm heißt es lapidar: „Die bei weitem überwiegende Mehrheit der Österreicher gehört der deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft an.“

Mit Haiders Erfolg wurde das ein Problem. Die antipolitischen Protestwähler, die er zunehmend um sich schart, haben mit dem akademischen Deutschnationalismus der alten Funktionärskaste nichts am Hut; sie träumen nicht vom deutschen Großreich, sondern stecken bis zum Hals im kleinstaatlich-austropatriotischen Morast. An diese Klientel paßte sich Haider zuletzt immer stärker an.

Keine Stärkung des „germanischen Blocks“

Schon das „Nein“ zum EU-Beitritt war im Grunde ein Verrat an der alten Ideologie; hätte die deutschnationale FPÖ doch für eine Verstärkung des „germanischen Blocks“ in der EU eintreten müssen. Doch die vermeintlichen Europa-Ängste seiner Anhänger waren Haider wichtiger. Aus all diesen Gründen ist die Wende auch konsequent. Der Bruch mit dem Deutschnationalismus markiert den „Vollzug einer historischen Wende – in eine andere Art von Radikalität“, urteilt der Herausgeber den Nachrichtenmagazins profil, Hubertus Czernin.

Man muß sich also davor hüten, in dem Schwenk eine „Mäßigung“ oder gar „demokratische Läuterung“ des obersten Rechtspopulisten zu sehen. Haider: „Wir sagen, es braucht heute eine österreichbewußte Partei, die Heimatbewußtsein und Vaterlandsliebe im klassischen Sinne auch politisch lebt“ – diese Rolle hat er seiner Freiheitlichen Bewegung zugedacht.

Um ideologische Grundlagen kümmert sich Haider nun nicht mehr, ansonsten brächte ihn seine neue Linie abermals in Schwierigkeiten. Denn ein österreichischer Nationalismus, der sich – ähnlich dem deutschen – ethnisch definiert, ist kaum zu begründen. Nicht zuletzt deshalb muß Haider mit den „sanfteren“ Begriffen wie Heimatbewußtsein, Patriotismus oder Vaterlandsliebe argumentieren.

Der Preis für diesen Schwenk ist nicht hoch, doch wird Haider ihn entrichten müssen: Er führt seine Partei ins nebulöse Terrain programmatischer Beliebigkeit, und er wird auf diesem Weg auf manchen Mitstreiter verzichten müssen. Vereinzelte stramme Recken aus dem Mittelbau der Partei haben bereits angekündigt, die Freiheitliche Bewegung verlassen zu wollen.

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