piwik no script img

Die beste Seite der Menschen

■ Unbestechlicher Blick: Der Fotograf Alfred Eisenstaedt, „Life“-Reporter und Chronist dieses Jahrhunderts, ist tot

Es war, so geht die Legende, der Onkel. Er schenkte dem zwölfjährigen Alfred Eisenstaedt die erste Kamera und legte damit den Grundstein für eine der glanzvollsten Karrieren des modernen Bildjournalismus. Eisenstaedt, 1898 in Dirschau in der Nähe von Danzig geboren, begann seine Laufbahn im Berlin der zwanziger Jahre als Reporter der Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Innerhalb kürzester Zeit hatte er sich einen Namen als unbestechlicher Beobachter der politischen Verhältnisse der Weimarer Republik gemacht. „Ich versuche, die beste Seite der Menschen zu zeigen, ich urteile nicht“, lautete das Credo des Fotografen, der zu den wenigen ganz großen Chronisten dieses Jahrhunderts zählt.

1935 emigrierte Eisenstaedt, der den Nazis von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen war, in die USA und blieb in New York hängen. Kurz nach seiner Ankunft in den Staaten trat er in die Redaktion der neugegründeten Zeitschrift Life ein, für die er einige seiner berühmtesten Bilder machte: den Handschlag von Hitler und Mussolini unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges; den wilden Kuß eines US-Matrosen und einer Krankenschwester am Tage der japanischen Kapitulation am 15. August 1945; oder eine Aufnahme des ehemaligen englischen Premiers Winston Churchill vor seinen vier Aquarien.

Auch die Größen des Kulturlebens ließen sich gerne von Eisenstaedt ablichten. Den Schriftsteller Ernest Hemingway erwischte er beim Angeln vor der kubanischen Küste, Sophia Loren posierte für die Leser von Life im Negligé. Marilyn Monroe, der amerikanische Präsident Dwight D. Eisenhower und die englische Königin Elizabeth II. – sie alle vertrauten dem Können des Fotografen Eisenstaedt. „Ich komme immer alleine und kommandiere die Leute nicht herum. Man braucht eben viel Geduld“, erinnerte sich Eisenstaedt später an sein Erfolgsrezept. Während seiner Zeit als Life-Reporter brachte er es auf über 2.500 Fotoaufträge, zahllose Titelbilder gingen auf sein Konto.

Eisenstaedts Markenzeichen und besondere Kunst bestand darin, die Menschen hinter ihren fein säuberlich konstruierten Fassaden sichtbar zu machen. Sein Blick war der eines Passanten, der scheinbar zufällig zum Zeugen eines Geschehens geworden war. Momente, die andere als beiläufig und marginal erachtet hätten – für Alfred Eisenstaedt waren sie stets ein Bild wert. Häufig illustrierten seine Aufnahmen nicht das Ereignis selbst, sondern die Reaktionen darauf.

Am Donnerstag ist Alfred Eisenstaedt, der im Dezember 97 Jahre alt geworden wäre, während eines Urlaubs in Massachusetts gestorben. Ulrich Clewing

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen