Grauschleier über der Bankenstadt

Nach dem Bankrott einer Kreditbank bemerken nun auch die Japaner den Notstand der Tokioter Banken / IWF kritisiert die Krise als hausgemacht und rügt Staatssubventionen  ■ Aus Tokio Georg Blume

Von Eleganz keine Spur. In Tokios Bankenviertel Otemachi regiert bis heute eine Farbe, die hier von den Außenmauern der Finanztürme bis zu den schmucklosen Inneneinrichtungen der Großraumbüros die Stimmung diktiert: Grau. Doch genau dieser konservative Gesamteindruck im Herzen der japanischen Finanzwirtschaft trügt: Nicht auf dem grellen Grün der Golfplätze, nicht einmal in den dunklen Gassen der Rotlichtbezirke wurde einst in Tokio so maßlos Geld verpraßt wie unter der grauen Decke der Bankenwelt. Bis heute leiden Japan und die Weltwirtschaft an den Folgen der Finanzorgien von Otemachi. Das rückte diese Woche noch einmal ins Rampenlicht, als die Ratingagentur Moody's die japanischen Banken dramatisch herabstufte und der Internationale Währungsfonds (IWF) den Japanern selbst die Schuld an ihrer Bankenkrise zusprach. Tatsächlich paßt heute das Grau der Bankenstadt zu denen, die es tragen: Takashi Ito, der Forschungschef der Mitsubishi Bank, zeugt für die gekränkte Befindlichkeit. Schon seinen Kindern in der Ober- und Mittelschule mag der Karrieremann nicht mehr von seinem Job erzählen: So schlecht stünden die Banken derzeit im Ansehen ihrer japanischen Kunden, daß Kinder es vermerken.

Natürlich weiß inzwischen fast jedermann von den Grundübeln, die das japanische Finanzsystem plagen: Hemmungslos hatten die Banken in den achtziger Jahren Kredite verteilt, als mit den Aktien auch ihre Kapitalbasis in den Himmel zu steigen schien. Dabei akzeptierten sie fragwürdige Immobilien als Sicherungen. Inzwischen aber sind Aktien- und Landpreise auf die Hälfte ihres damaligen Werts verfallen.

Unzählige kleinere Finanzinstitute, die damals unter dem Schutz der großen Banken agierten, stehen nun vor dem Bankrott. Und auch die größeren Institute leiden unter hohen Summen nicht rückzahlungsfähiger Kredite. Doch keiner weiß genau, wo es brennt. Durch einzelne Rettungaktionen der Zentralbank, großzügige Bilanzvorschriften, die Problemkredite unsichtbar machen, und staatliche Unterstützungsmaßnahmen für den Aktienmarkt konnte das wirkliche Ausmaß der Schäden im japanischen Finanzsystem in den letzten fünf Jahren nie richtig zutage treten.

In diesem Sinne verfaßte der IWF seine Mahnschrift, in der er die japanische Regierung für die unnötige Verschleppung der Bankenprobleme tadelt. Auch fühlte sich die Ratingagentur Moody's veranlaßt, ein neues Bewertungssystem für die japanischen Banken zu entwickeln, das ihre Risikobewertung unabhängig von denkbaren staatlichen Hilfen vornimmt. Beim anschließenden Rating schnitten die japanischen Banken fast durchweg mit den schlechtesten Noten ab. Kein Wunder: Nach Angaben privater Forschungsinstitute ist das japanische Finanzsystem von Problemkrediten in der Höhe von 1.000 bis 1.500 Milliarden Mark belastet – eine Kreditlücke also von ungefähr 30 bis 50 Prozent dieser Summe, die das Gerede von einer Gefahr für die Weltwirtschaft rechtfertigt.

Geredet wird darüber allerdings fast ausschließlich im Ausland. In Japan sah man die Sache bislang gelassener: Solange nämlich mit dem Finanzministerium die angesehenste Institution im ganzen Regierungssystem über den Problemen wachte und dabei jeder Bank ihr Überleben garantierte, machten sich die Sparer keine Sorgen. Erst der Sturz der Cosmos-Keditbank Anfang August in Tokio könnte viele Japaner aufgeweckt haben: Dort mußten Hunderte von Bürgern Schlange stehen, als Zeitungen vom bevorstehenden Bankrott der Bank berichtet hatten. Dann geschah freilich, was geschehen mußte: Als Cosmos alle Safes leergeräumt hatte, fuhren die Panzerwagen der Zentralbank Nachschub an – auf Kosten der Steuerzahler.

Beoachter glauben, daß damit ein Präzedenzfall geschaffen wurde, der dem Bürger Glauben machen soll, mit zukünftigen Rettungplänen für bankrotte Banken werde auch sein Konto geschützt. Tatsächlich reagierten die Japanern bislang allergisch auf jeden Politiker, der Steuergelder für das von den reichen Banken zerrüttete Finanzsystem locker machen wollte.

Das aber könnte sich ändern. Schon im Oktober soll eine neue Parlamentskommission eingesetzt werden, die einen staatlichen Rettungsplan für das Bankwesen erarbeiten soll. Damit will das Tokioter Finanzministerium dann bis ins Jahr 2000 die japanische Bankenkrise lösen. Gelingt die Aktion, wäre die laut Economist derzeit größte Gefahr für die Weltwirtschaft gebannt.