: „Vom Munde abgespart“
■ betr.: „Ja, wo leben wir denn?“, taz vom 19./20. 8. 1995
[...] „Häuslebauer“ sparen sich das Haus in der Regel wirklich „vom Munde ab“, müssen auf vieles verzichten. Auch deren Kinder sind davon betroffen. Meine Eltern (Arbeiterfamilie) haben sich Ende der fünfziger Jahre ein Zweifamilienhaus gebaut. In den nächsten zwanzig Jahren mußten wir auf vieles verzichten, was bei meinen Schulfreunden, die zur Miete wohnten, selbstverständlich war: wir hatten erst sehr spät ein Auto, Tomaten gab es nur aus dem Garten (nicht aus Holland). Urlaub „auf Mallorca“ war natürlich auch nicht drin. Ich wurde als Kind und Jugendlicher oft wegen meiner gebrauchten Kleidung (damals hieß das noch nicht Säkendhend) gehänselt. Am Haus und im Garten gab's für mich immer genügend Aufgaben (vom Fensterstreichen bis hin zum Betonieren des Gartenzauns). Taschengeld gab es nicht, ich mußte es mir durch das Austragen von Zeitungen verdienen.
Manchmal habe ich meine Freunde um deren gehobeneren Lebensstil (Taschengeld, Urlaub, Mofa etc.) beneidet. Und da behauptet Barbara Dribbusch, den Erben fällt so ein Haus völlig unverdient und ohne deren Zutun in den Schoß.
Eine hohe Erbschaftssteuer macht jedoch alle die zu Nutznießern, die nun wirklich gar nichts zum Häusle beigetragen haben (alle in Deutschland außer mir). Also, ich (Angestellter) finde das nun gar nicht gerecht.
Die Sorge um die Finanzen und die Schufterei am Haus waren nicht unwesentlich am frühen Tod meiner Eltern beteiligt. Mein Vater war nach seinem zweiten Herzinfarkt kurze Zeit in einem Pflegeheim. Die Kosten konnte er aus seiner kleinen Rente (Arbeiter) und den Mieteinnahmen aus dem Haus nicht decken. Auf dem Sozialamt wurde mir damals erklärt, daß zuerst das Haus eingesetzt (also verkauft) werden müsse. Hätten meine Eltern ihr Einkommen „auf den Kopf gehauen“ (s.o.), wäre neben dem Sohn auch das Sozialamt eingesprungen. So wurde mein Vater für sein hartes und entbehrungsreiches Leben noch „bestraft“.
Auch heute noch kann jeder, der ein regelmäßiges Einkommen hat, sich eigene vier Wände leisten (mal praktisch gesprochen: jede Bank gibt ein paar zigtausend Mark Kredit...). Es wird nicht immer eine Villa im Tessin sein. Aber immer wird es einen reduzierten Lebensstandard zur Folge haben. Und ob Barbara Dribbusch den, den ich aus meiner Kindheit kenne, akzeptiert hätte, wage ich nach Lektüre dieses Kommentars zu bezweifeln.
[...] Spontan fiel mir bei der Lektüre des Kommentars ein alter Klospruch ein: Was ist der Unterschied zwischen einem Christen und einem Sozialisten? Der Christ sagt: „Mein Haus sei auch dein Haus“, der Sozialist „Dein Haus sei auch mein Haus“. Hermann Liggesmeyer,
Tübingen
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