: Militäroption kein Tabu
■ Der SPD-Bundestagsabgeordnete Freimut Duve zum Streit um seine Teilnahme als Redner auf der Antikriegsdemo
taz: Die Bündnisgrünen haben sich wegen Ihrer Person von der Demonstration am 1. September, die unter dem Motto „Stoppt den Krieg in Bosnien“ steht, zurückgezogen. Werden Sie nach dem Eklat nun zu Hause bleiben?
Freimut Duve: Um Gottes willen. Mich interessieren in diesem Punkt die Berliner Grünen überhaupt nicht, sondern die Menschen in Bosnien, die vielen bosnischen Flüchtlinge und Vertriebenen, die in Deutschland leben. Ein solche Lächerlichkeit, wie sie nun in Berlin veranstaltet wird, zeigt doch, daß Christian Ströbele (Mitglied des bündnisgrünen Landesvorstands — die Red. ) mehr an seiner eigenen Argumentationslinie gelegen ist als an der Solidarität mit den Kriegsopfern.
Ströbele hat vorgeschlagen, Sie als Befürworter einer militärischen Intervention sollten nicht reden, könnten aber gerne mitlaufen.
Das kann man doch nicht ernst nehmen. Ich respektiere Ströbeles intellektuelle Position. Aber die Diskussion krankt doch daran, daß in den Köpfen derjenigen, die wie Ströbele argumentieren, die Frage eines Tornado-Einsatzes bislang immer wichtiger war als die Tatsache der Massenvertreibungen.
Ist der 1. September ein Tag, der nur den Pazifisten vorbehalten bleiben soll?
Ich bin kein Pazifist, auch kein Bellizist. Wenn Europa sich vor Beginn des deutschen Überfalls auf Polen 1939 auf eine gemeinsame Position geeinigt hätte, wären uns vielleicht viele Millionen Tote erspart geblieben. Auf heute übertragen heißt das: Wenn Massentötungen, Massenvertreibungen stattfinden, muß man doch überlegen dürfen, welche polizeilichen Mittel es zur Verhinderung gibt. Hätten die Pazifisten, die ich sehr schätze, einen realistischen Ausweg aus dem Dilemma, wäre ich sofort auf ihrer Seite.
Schließt der Antikriegstag ein Plädoyer für eine militärische Option nicht aus?
Nein. Anti- kriegstag heißt auch, zu überlegen, wie der Krieg zu stoppen ist.
Inklusive militärischer Mittel?
Sicher. Die militärischen Mittel hat es ja bislang nicht gegeben. Die Forderung der Nicht-Interventionisten, still zu halten, hat sich doch bis heute durchgesetzt. Da kann doch Herr Ströbele zufrieden sein. Das Resultat dieser Logik kennen wir: Die Vertreibungen gehen weiter, mittlerweile gehen Kroaten gegen die Serben vor. Ich bin nach wie vor für das Primat einer zivilen Lösung, aber durch den Balkan-Konflikt sind die pazifistischen Ansätze in aller Welt diskreditiert worden. Empörend ist die Argumentation, wie sie von Teilen der Linken, etwa in der Hamburger Zeitschrift Konkret, unter dem Deckmäntelchen des Pazifismus geführt wird. Da wird in Artikeln die Aussonderung von 14jährigen Jungen bei Srebenica zum normalen Bestandteil jeder Kriegspolitik erklärt. Das zeigt doch, wo die wahren Kriegserklärer, die eigentlichen Bellizisten sitzen.
Ist die Friedensbewegung mittlerweile so geschrumpft, daß sie ein ideologisches Reinheitsgebot auf Demos durchsetzen will?
Die Friedensbewegung war nie monolitisch, hat viele Personen in den achtziger Jahren umfaßt. Wenn man sie aber als Subjekt begreift, dann hat sie bislang außerordentlich wenig zum Krieg in Bosnien gesagt, um so mehr aber zu den Atomwaffentests Frankreichs. Vielleicht wird das ja jetzt nachgeholt. In diesem Sinne kann man den Berliner Bündnisgrünen nur danken, daß sie mit dem Rückzug eine Diskussion ausgelöst haben. Falsch wäre es aber, wegen des Streits um meine Person am 1. September der Solidarität mit den Bosniern den Rücken zu kehren. Interview: Severin Weiland
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