: Nur eine andere Art zu sterben
Von der Unmöglichkeit, im Exil eine neue Heimat zu finden. Eine Algerierin, auf der Flucht vor den Fundamentalisten, über ihre Verzweiflung ■ Aus Rom Nacera Benali
Man hat mir ein Visum gegeben. Und darum habe ich auf meine Familie verzichtet, auf meine Arbeit, meine Karriere, meine Freunde, auf meine Träume. Hier aber bin ich ein Nichts. Bin stets nur Gast von irgend jemandem. Ich zwinge mich, über mein Land zu schreiben, damit ich mein Bewußtsein aufrechterhalte und ein wenig Geld verdiene, um nicht der Caritas zur Last zu fallen. Ich unterrichte Sprache für Menschen, die sich austauschen wollen. Doch ich selbst finde niemanden, dem ich meine Verzweiflung mitteilen kann.
Ich fühle mich amputiert, eingezwängt zwischen einem Land, das seine Kinder auffrißt, und einem anderen Land, das mir immer nur Vorurteile an den Kopf wirft. Ich bin eine Fremde. Aber war ich das nicht auch schon, als ich in Algier lebte, in einem Land, in dem sich alle fremd fühlten? Ich war schon eine Fremde, als meine Brüder, meine Kollegen in der Zeitung und meine Freunde nicht erkannten, daß es sich beim Fundamentalismus in Algerien nicht um eine „interessante Massenbewegung“ handelte, sondern um eine Zensur der Lebensweise, die in jener Gesellschaft des Frauenhasses ihren Nährboden für Folter und Frauendiskriminierung gefunden hat.
Frauen haben die Gabe, Gefahren bereits im voraus zu erkennen. Doch unsere Besorgnis bekümmerten niemanden. Die Männer meinten, wir würden übertreiben, wir wollten lediglich Teilhabe an der Gesellschaft reklamieren, uns gegen traditionelle Sitten auflehnen. Heute nun, wo man die verstümmelten Körper von Frauen in die Büsche wirft, ist die Barbarei des islamischen Fundamentalismus evident. Die Leute weinen, klagen, und sie beten, daß die eigene Tochter, die Schwester, die Frau nicht in die Hände der „Bärtigen“ fallen möge, damit über die Familie kein Skandal hereinbricht. Unsere Mütter verschaffen uns Zyankali, damit wir uns umbringen können, bevor wir von 30 dieser „von Gott Ergriffenen“ vergewaltigt werden, wie dies Hunderten von Frauen geschehen ist.
Schöne Studentinnen schminken sich nicht mehr, ziehen keine modernen Kleider mehr an, weil sie Angst haben, ungewollt die Aufmerksamkeit eines der sogenannten Emire zu wecken. Nicht zu zählen die vergewaltigten Frauen, die zwar dem Tod entkommen sind, sich aber nun als „lebende Leichen“ fühlen.
Und wie viele Frauen haben versucht, diesem Schicksal durch die Flucht ins Exil zu entgehen? Künstlerinnen, Journalistinnen, Professorinnen, Ärztinnen, Angestellte ... Eines Tages haben wir ein paar Kleider in den Koffer geworfen, das Fotoalbum der Familie, Schlaftabletten, etwas Geld und einen Zweitschlüssel für zu Hause, um die Hoffnung nicht aufzugeben, daß wir eines Tages zurückkommen. Ich erinnene mich an den Tag, an dem ich meinen Koffer packte. Meine Schwester brachte mir den Koran und sagte: „Nimm ihn mit, er wird dich beschützen.“ Ich habe sie angeschaut und gesagt: „Aber seinetwegen verlass' ich doch mein Land.“ Nein, nicht einmal Zeit zum Abschied hatte ich. Lediglich eine Freundin aus Kindertagen habe ich noch gesehen: eine Gymnasiallehrerin, sie wohnt in einem Haus einige Kilometer vor Algier. Wieviel Male ist sie abgehauen, zurück zu ihren Eltern ... „Ich kann nicht mehr, jeden Tag Leichen auf der Straße zum Gymnasium. Studenten, die einen als Ungläubige behandeln, Drohbriefe, damit du dich endlich davonmachst ...“
Wegen des Korans verlass' ich doch mein Land
Warum bin ich abgehauen? Warum lebe ich überhaupt noch, und wozu? Warum kehre ich nicht heim? Warum bin ich nicht früher weggegangen? Und: Warum verspüre ich keinen Impuls, mich hier wirklich einzurichten? Dann denke ich daran, daß ich die Miete bezahlen muß, an ein Paar, mit dem ich die Wohnung teile. Liebe Menschen, Freunde von Freunden. Dennoch habe ich manchmal den Eindruck, sie sehen mich an wie einen Marsmenschen. Ich bin eine Afrikanerin, eine Araberin, eine Muselmanin ... So viele Aspekte, die sie wohl erschrecken.
Ach ja, und dann ist da der Brief eines Freundes, auf den ich antworten sollte. Auch er lebt im Exil, hat Frankreich Italien vorgezogen. Aber es geht ihm dort auch nicht besser als mir. Wir schreiben einander regelmäßig.
Ich reiße mich zusammen, um aufzustehen. Schalte das Radio an, höre Nachrichten. Es geht um die Weltfrauenkonferenz in Peking. Als ich noch die Kraft hatte, in meinem Land auszuhalten, beschäftigte ich mich sehr viel mit dieser Materie. Ich erinnere mich an die Enttäuschung unserer Frauengruppen nach der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo: „Die haben über alles mögliche geredet, das mit der Dritten Welt überhaupt nichts zu tun hat.“
Meine Arbeit als Reporterin führte mich oft in kleine Dörfer, nach weit draußen. Da erzählten mir die Frauen, wie viele von ihnen bei der Geburt stürben, wie hoch die Kindersterblichkeit sei – das nächste Krankenhaus 80 Kilometer entfernt.
Ich hätte gerne weiter Reportagen über diese Schicksale gemacht, besonders da meine Ausbildung zur Ärztin mir dabei sehr zustatten kam. Wäre gerne bei all diesen Menschen geblieben, die da versuchen, trotz allen Elends und aller Krankheit nicht das Lächeln zu verlieren. Über die Frauen, die ihre Kinder jeden Tag zur Schule schicken und voller Angst auf sie warten, über die Witwen und die Waisen jener, die dem Terror zum Opfer gefallen sind.
Doch ich bin weggegangen. Denn mein Leben war wie das eines Tieres in der tödlichen Falle. Mit 27 Jahren habe ich in meiner Heimat bereits das Gefängnis erlebt, die Zensur und wie der Traum von der Demokratie die einen ins Zuchthaus, die anderen auf den Friedhof brachte, wieder andere ins Exil führte – oder in die unentrinnbare Herrschaft des ständigen Kompromisses.
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