: Eine Heroine des Alltags
■ La Marianne, Jeanne d'Arc und so weiter: Ein Gespräch mit Emmanuelle Bart über ihre diversen Rollen als schöne Frau vom Dienst, wie auch als Mutter, Hure, Heilige, Katholikin und Nationsretterin, anläßlich des Sta
Eine französische Frau“, Régis Wargniers neuester Film, erzählt die Geschichte einer französischen Offiziersgattin, die Affairen mit anderen Männern pflegt, während ihrer in deutscher Kriegsgefangenschaft und später im Algerienkrieg ist. Inszeniert werden diese Seitensprünge nicht etwa als schnöde Lust, sondern als Passion – fast wie eine Leidensgeschichte, die noch dadurch Pikanterie erhält, daß eine nicht unerkleckliche Zahl kleiner Kinder im Spiel ist, die sich allerdings elegant und widerspruchslos von einem Ort zum nächsten transferieren lassen. Die taz sprach mit Emmanuelle Béart, die nicht nur in „Eine französische Frau“ die Rolle der schönen Verführung spielt.
taz: Können Sie sich irgendein anderes Land vorstellen, daß sich einen solchen Filmtitel ausdenken würde? Ich meine, „Eine deutsche Frau“ – das ist doch praktisch ausgeschlossen...
Emmanuelle Béart: Das hätte in der Tat eine andere Konnotation...
Schon recht, aber was heißt das nun, „Eine französische Frau“, was unterscheidet eine solche von einer englischen, einer polnischen, einer malaysischen Frau, wie kommt es, daß man sich da irgendwie tatsächlich etwas darunter vorstellen kann?
Der Titel wurde schlicht gewählt, weil es sich um eine bestimmte Zeit handelte, in der das sehr wichtig war. Frankreich kämpfte gegen die Deutschen, und Jeanne steht in der Tradition der Frauen, die im Krieg ihren Mann betrauern. Aber für mich ist sie keine französische Frau, sondern eine Frau. Ich habe immer zu dem Titel gestanden, er ist schön und hilft dem Film gerade im Ausland weiter. Aber zu allererst ist Jeanne eine Frau, sie hätte für mich auch Deutsche, Amerikanerin oder Russin sein können; sie ist eben die Essenz einer Frau.
Sie werden doch aber nicht bestreiten wollen, daß es in Frankreich eine lange Tradition gibt, die nationale Imagination an den Körper einer Frau zu hängen: La Marianne, mit all ihren Bezügen zur Jungfrau Maria, die zugleich nährt und lockt, wie die junge Republik; Jeanne d'Arc, Charlotte Corday... Deshalb funktioniert ein Titel wie „Eine französische Frau“ in Frankreich, oder nicht?
Nun, er hat in Frankreich nicht funktioniert, überhaupt nicht. Der Film hat die Leute schockiert, er hat die französische Moral und die französische Arroganz hervorgelockt. Der Titel hat den Leuten große Schwierigkeiten gemacht. Denn Jeanne wird hier präsentiert als eine typische französische Frau, und das haben die Leute absolut abgelehnt.
Wo kommt diese Reaktion her, aus einer Art Renaissance des Katholizismus? Vor zwanzig Jahren hätte das doch niemanden vom Hocker gerissen.
Auf jeden Fall. Der Film hat besonders die Leute erbost, die in dem Milieu leben, in dem Jeanne damals auch lebte: das katholische Kleinbürgertum außerhalb der großen Städte. Diese Leute machen sich heute mehr bemerkbar als früher. Jeanne hat einfach permanente Regelverstöße begangen, für die im Krieg ja manche Frauen oft von ihren Kleinstadtmitbürgern die Haare geschoren bekamen: Sie betrog ihren braven Soldatenmann, sie hatte eine Affaire mit einem Deutschen. Und irgendwie scheint es doch, als seien diese Vorstellungen noch – oder wieder – hochaktuell, sonst hätten die Leute ja nicht so empört auf den Film reagiert. Wir bekommen noch immer Briefe, in denen gefordert wird, den Film sofort abzusetzen, gar nicht zu reden davon, was manche Leute Jeanne an den Hals wünschen...
Aber das, was sie Jeannes Regelverletzung nennen, bewegt sich doch ebenfalls noch im Rahmen dieser katholischen Konstruktion. Jeanne ist zugleich Mutter und Hure; ihr Körper ist schön, aber ihre Seele ist treulos, womöglich hängt beides sogar als Teufelswerk irgendwie zusammen.
Das sehe ich überhaupt nicht so. Sie verstößt gegen jede katholische Moral; es gibt keine Trennung zwischen ihrem Körper und ihrer Seele. Das war eine Zeit, vor allem die Nachkriegszeit, in der die Frauen anfingen, sich schön anzuziehen, sich zu schminken, Hüte zu tragen. Hinter diesem Äußeren steckt Jeanne, ein sehr körperliches Wesen. Sie möchte immer wieder aus diesen Kleidern ausbrechen, aber nicht als Hure, sondern als Frau. Was die Leute schockiert, ist, daß sie eben gleichzeitig Mutter ist und daß sie nicht als Trauerkloß auf einen Mann warten wollte, der in den Krieg gezogen ist. Damals ließ man nicht alles stehen und liegen, um mit einem Deutschen wegzugehen. Sie hatte doch sehr viel Mut. Und sie leidet enorm, sie ist eine tragische Figur, eine Heroine des Alltags.
La Marianne, also doch! Von hier aus hat man den Eindruck, daß sie sich eigentlich immer mehr zu dieser öffentlichen Persona entwickeln, vor allem auch „La Belle Noiseuse“, die sich auch von bestimmten Intellektuellen als französische Frau = Muse = Kunstwerk = Nation in Anspruch nehmen läßt...
Ich will nichts repräsentieren außer mich selbst. Ich übe meinen Beruf als Schauspielerin aus. Für mich ist da so ein Reisemotiv drin, Schauspielerin sein heißt, mit einem Bündel voller Sachen loszuziehen und in allerhand fremde Länder aufzubrechen, jeder Regisseur ist eine Terra incognita, eine neue Sprache, eine neue Religion, eine Philosophie, ein neuer Lebensstil und so weiter. Ich will auf gar keinen Fall innerhalb bestimmter Grenzen bleiben, sei es nun Frankreich oder ein anderes Land – wobei ich auch innerhalb Frankreichs alle Grenzen überschreite. Symbolismen, womöglich noch nationale, interessieren mich einen Dreck.
Vielleicht kann man diese mir sehr katholisch erscheinende Tradition nicht sehen, wenn man aus ihr kommt und in ihr lebt?
Die Familie meiner Mutter ist griechisch-jugoslawisch, die meines Vaters spanisch-russisch; da gibt es Katholiken, Juden, Orthodoxe. Alle Religionen machen mir angst, weil sie eine solche Intoleranz hervorgebracht haben.
Sie waren jetzt in Hollywood, um mit Tom Cruise und Brian de Palma zu drehen.
Wie soll ich sagen. Tom Cruise mag ein Weltstar sein, aber als Kollege ist er extrem freundlich, professionell, aufmerksam, sogar wirklich zartbesaitet; Brian de Palma ist ein irgendwie eher europäischer als amerikanischer Regisseur; ich hatte mit anderen Worten nicht das Gefühl, irgend etwas anderes zu machen als das, was ich auch als Schauspielerin in Frankreich immer mache. Von der immensen Riesenmaschine Hollywood habe ich überhaupt nichts gespürt. Vielleicht danach, die Promotion, die Reisen, die man für den Film dann machen muß.
Wenn Sie den Verlauf Ihrer Karriere mit der Jeanne Moreaus vergleichen, haben Sie den Eindruck, das muß heute grundsätzlich anders verlaufen als früher?
Auf jeden Fall, die Dinge haben sich sehr verändert. Damals war der Starsystem noch sehr lebendig, und irgendwie ist es Jeanne Moreau gelungen, sich da immer wieder unbeschadet durchzulavieren. Sie hat es immer verstanden, geerdet zu bleiben, nicht abzuheben. Was ich an ihr auch sehr mag, ist, daß sie noch immer dabei ist, nach fünfzig Jahren. Ich orientiere mich an ihr, wenn ich versuche, den Schubladen auszuweichen, die man mir anbietet. Ich fliehe vor den Menschen, vor ihren Angeboten, ihren Kameras, ihren Korruptionsversuchen. Nur auf dem Theater, wenn ich Texte von Molière oder Marivaux spiele, muß ich nicht fliehen. Deshalb will ich auch nicht in einem Bild eingefroren werden, wie sie das vorhin beschrieben haben, La Marianne und so weiter...
War dann „La Belle Noiseuse“ [drei Stunden beinharte Kunst: der Maler Piccoli alias Frenhofer malt sein Aktmodell Béart alias Marianne, d. Red.] eine gute Idee? Dieses endlos öde Nachzeichnen der immer gleichen Linie: eine schöne Frau, eine schöne Frau, eine schöne Frau?
Ach was. Das sind Spiele, das amüsiert mich, ich nehme das doch nicht ernst!
Prima, die deutsche Filmkritik ist nämlich gesammelt vor diesem Machwerk in die Knie gegangen...
Ich habe auch eine Werbekampagne für Dior gemacht, das kreuzt halt so meinen Weg, und dann mache ich es. Das muß doch nicht immer irgend etwas mit mir zu tun haben. Interview: Mariam Niroumand
Eine französische Frau, Regie: Régis Wargnier. Mit Daniel Auteuil, Emmanuelle Béart, Gabriel Barylli. Frankreich 1995, 97 Min.
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