: Unter den Wolken
Der Brühler Rechtsanwalt Rainer Wollny kämpft seit drei Jahren mit Begeisterung und Erfolg gegen den Flughafen Halle-Leipzig. Und er verdient gutes Geld dabei ■ Von Steve Körner
Schkeuditz. Mittwoch nachmittag, Autobahn A9. Rainer M. Wollny steht im Stau. Seit Stunden. Aber er schimpft nicht. Wollny ist auf dem Weg nach Leipzig und selber schuld. Er könnte ja fliegen. Theoretisch.
Praktisch fährt er lieber. Denn Wollny liegt seit drei Jahren mit der Flughafengesellschaft Leipzig- Halle im Clinch und ist ein bißchen böse. „Man hat mir das Allerschlimmste angetan“, bekennt der Rechtsanwalt aus Brühl, „man hat mich ignoriert.“ Seitdem ist Wollny, ein munterer Mensch Mitte Dreißig, tief gekränkt. Er nimmt den millionenschweren juristischen Streit um ausgedehnte Alteigentumsflächen am und auf dem Flughafen als „sehr persönliche Auseinandersetzung“. Rainer M. Wollny fliegt nicht mehr.
„Einige hunderttausend Mark Prozeßkosten“ hat sich die sächsische Landesregierung, als Hauptgesellschafterin der Flughafen GmbH, den Streit um die dringend notwendige Erweiterung nun schon kosten lassen; drei Jahre Verzögerung, ein paar Strafanzeigen und 18 gewonnene Verfahren schreibt sich Wollny gut.
Nach einem Urteil, das einem seiner Mandanten das Eigentum am Boden unter dem Flughafentower bescheinigte, hat er beim zuständigen Bauamt Leipzig die „Errichtung eines Meditationszentrums für gestreßte Flughafenmanager auf der Basis des Zen-Buddhismus“ beantragt – in ebenjenem Tower. Doch die Flughafenmanager reagieren einfach nicht. Sie machen weiter wie zu DDR- Zeiten: „Die bauen auf Flächen, die ihnen nicht gehören, zahlen keine Pacht und scheren sich nicht um Gerichtsentscheide.“ Manchmal, sagt Rainer M., was für Maria steht, komme er sich vor wie jemand, „der einen Pudding an die Wand nagelt“.
Wie ein Pudding sieht Wolfgang Hesse nicht gerade aus. Der Chef der Flughafen GmbH ist ein großer, schwerer Mann, unter dessen Charakterkinn ein leicht verdrehter Schlipsknoten baumelt. Der Streit mit der Klientel Wollny, wiegelt Hesse ab, finde nicht auf seiner Ebene statt. „Für so was hat man Rechtsanwälte. Mich berührt der ganze Knatsch gar nicht.“
Mit kurzem Zeigefinger und behelfsmäßig ausgefaltetem Lageplan erklärt Wollny die Ursachen für den „Knatsch“, der reihenweise Ämter, Behörden und Gerichte beschäftigt. In der Mitte der Flughafen, rundherum Land in privater Hand. Kein Platz für Erweiterungen: Die notwendige Umgehungsstraße führt über private Flächen, das neue Heizhaus steht ebenso auf privatem Boden wie die alten „Iljuschins“ im Aeropark. „Schon Ende 1990 haben wir auf diese Probleme hingewiesen“, erläutert der Anwalt, „denn wir wollten, daß die Flughafenerweiterung im Einvernehmen mit den Eigentümern über die Bühne geht.“
Statt dessen zogen Abgesandte des Flughafens über die Dörfer, um allen klarzumachen: „Wer jetzt nicht für sechs Mark pro Quadratmeter verkauft, wird enteignet und kriegt bloß drei Mark Entschädigung.“ Doch diese Rechnung war ohne den Wollny gemacht. Als eine Art Rächer der Enterbten kam der Zivil- und Steuerrechtler aus dem Badischen über die Airportmanager. „Die meisten von den alten Leutchen sind in den fünfziger Jahren zwangsenteignet worden – nun hatten die ihr Land noch gar nicht wieder richtig zurück, da tönten die Herren schon wieder von Enteignung.“ Zitternd hätten die „alten Omchen“ vor ihm gestanden: „Herr Anwalt, dürfen die denn das?“ Wollny wurde wütend: „Da fehlt wohl unter ,P‘ im Wörterbuch das Wort Privateigentum. Niemand hat recht, nur weil er öffentliche Interessen vertritt.“
Der Kampf um das Alteigentum am Leipziger Flughafen ist alles andere als übersichtlich. Zu viele Interessen ringen miteinander; zu viele Behörden, Kommissionen und Instanzen haben zu viele Entscheidungen gefällt und wieder zurückgenommen, Verfügungen erlassen, Widersprüche verhandelt. Selbst die Hauptakteure scheinen zuweilen im Zweifel über den Stand der Dinge: Nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Leipzig, nach der, von zwei Ausnahmen abgesehen, alle Flächen an einen Mandanten Wollnys zurückfallen, war sich Hesse sicher, „daß es dort gar keine Entscheidung gegeben hat“.
Ein klein wenig hat er freilich recht. Beim Streit um die Flächen am Flughafen, der nach dem politischen Willen der Landesparlamente in Dresden und Magdeburg bis zum Jahr 2000 zum „Drehkreuz Mitteldeutschland“ ausgebaut werden soll, geht es nicht um Grund und Boden. Es geht um Geld. 480.000 Quadratmeter Alteigentum beansprucht allein Wollny-Mandant Achim Apitzsch zurück – schon in der Lesart des Freistaates Sachsen, der inzwischen von einem Bodenpreis von 20 bis 30 Mark ausgeht, ein zweistelliger Millionenwert. Für Rainer M. Wollny aber sind „30 Mark ein Witz“. Auf 350 bis 400 Mark pro Quadratmeter habe ein Gutachter die Flächen geschätzt. Schließlich, nicht wahr, sei Flughafenland kein Acker.
Der Anwalt ist sich seiner Sache sicher. Für 140 Mark pro Quadratmeter wurde er Miteigentümer eines Grundstücks am Tower, dessen Preis stetig steigt. Der Prozeßgegner hat ihm deshalb „sittenwidrige Bewucherung“ vorgeworfen. Bei 305 Mark, wandten die Anwälte des Freistaates bei Gericht ein, liege der Quadratmeterpreis. Der Störenfried dementierte nicht. Genau das behaupte er ja schon die ganze Zeit. Danach schalt das Gericht den Freistaat Sachsen, es mangele seinen „Ausführungen leider am nötigen Ernst“.
Gerichtsurteile sind die Karten, mit denen die Beteiligten pokern. Die Entscheidungen fallen dann am Verhandlungstisch. Wollny: „Ende 1991 hatten wir mal einen Vertrag über 130 Mark pro Quadratmeter ausgehandelt.“ Da leistete sich der Airport einen neuen Anwalt. Der bot nur noch 50 Mark, andernfalls werde enteignet. Als der Flughafen später „dringenden Handlungsbedarf“ sah und auf das 130-Mark-Angebot zurückkam, beschied Wollnys Mandant Apitzsch die Kaufinteressenten abschlägig. Er werde auf den fraglichen zwei Hektar nun Rüben oder Kartoffeln pflanzen. Basta.
Doch die Flughafenmanager ließen nicht locker. Die Zahl der Fluggäste stieg von 1994 bis heute um 30 Prozent. Bis zum Jahr 2000 sollen aus den bisher rund zwei Millionen Passagieren pro Jahr vier Millionen geworden sein. Kein Platz mehr für Rüben und Kartoffeln in der Schkeuditzer Flur. Ohne die schon in Vorwendezeiten geplante Erweiterung, den Bau einer zweiten Landebahn und die Eröffnung des Terminals B für insgesamt 1,2 Milliarden Mark geht bald nichts mehr. Da kann man sich nicht aufhalten lassen von Protesten aus den umliegenden Gemeinden, deren Bürger den Lärm beklagen. Und erst recht nicht vom Starrsinn einiger profitgieriger Alteigentümer.
Man verhandelte also weiter. „Bei 210 Mark haben wir uns dann geeinigt“, erzählt Achim Apitzsch. Kosten für die Flughafen-Gesellschafter: zwei Millionen Mark mehr durch „bloße Dusseligkeit“ (Wollny). Insgesamt, hat der Anwalt ausgerechnet, summieren sich die Mehrausgaben durch Gerichtsgebühren, Anwaltskosten und steigende Grundstückspreise bis heute auf 50 Millionen Mark. Natürlich hat Rainer M. Wollny längst den Landesrechnungshof eingeschaltet. Solche Verschwendung, tönt er, dürfe nicht unentdeckt bleiben. Das finden die Rechnungsprüfer in Chemnitz und Magdeburg nun auch – seit einigen Wochen durchleuchten sie die Grundstücksgeschäfte der Flughafenmanager.
Für Wolfgang Hesse, früher Chef der DDR-Fluglinie Interflug in Moskau und schon von daher ohne große Chance, doch noch Wollnys bester Freund zu werden, kein Grund zur Beunruhigung. Hesse sieht sich als „Vertreter öffentlicher Belange“ und damit auf jeden Fall im Recht. „Die Gerichtskosten zahlt das Land Sachsen an die Gerichte des Landes Sachsen – das kostet also gar nichts“, sagt der Mann mit dem Bürstenschnitt selbstgewiß.
Für Rainer Wollny nur ein Beispiel in einer nahezu unendlichen Kette aus „teilweise bizarren Schlampereien“. Bereits mit der Erteilung der „luftfahrtrechtlichen Genehmigung“ zum Zeitpunkt der Wende, meint der Anwalt nach gründlichem Aktenstudium beweisen zu können, seien „gravierende Fehler“ gemacht worden.
So habe das Ministerium für Verkehr der DDR die Flughafen- Betriebsgenehmigung der Interflug zwei Wochen vor der Einheit ohne jede Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen auf den neuen Betreiber „Flughafen GmbH“ umgeschrieben. Wollny freut sich: „Zu diesem Zeitpunkt hatten die weder Stammkapital eingezahlt noch eine Pflichtversicherung nachgewiesen.“ Außerdem hätte eine solche Betriebsgenehmigung laut Gesetz nur vom Luftfahrtamt der DDR erteilt werden dürfen. Der Anwalt triumphiert: „Dieses Luftfahrtamt der DDR wurde nie gegründet.“ Selbstverständlich hat Rainer Wollny unterdessen Strafanzeige wegen Konkursbetruges, Nichtvorliegen diverser Genehmigungsvoraussetzungen und weiterer Straftaten gestellt. Recht muß Recht bleiben, nicht wahr: „Dieser Flughafen ist ja genaugenommen illegal.“ Darüber kann Gegenspieler Wolfgang Hesse nicht einmal mehr schmunzeln: „Wenn dieser Wollny könnte, würde der hier alles lahmlegen.“
Daß es dazu noch nicht gekommen ist, obwohl Wollny seit vier Jahren unermüdlich klafterdicke Aktenbündel verfaßt, die meist gleich „reihenweise hanebüchene Rechtsmängel“ bei Gründung, Umwandlung und Halterwechsel des Flughafens Leipzig-Halle aufführen, verwundert den Anwalt indes nicht: „Hier haben die Fehler eine Größenordnung, bei der es kein Gericht wagt, genauer hinzusehen.“ Zu verheerend wären die Auswirkungen: Hochsaison ohne Charterflüge, zwei Millionen Fluggäste versetzt, Mitteldeutschland ohne Anschluß zur Welt. Eine Katastrophe.
Also Recht hin, Recht her: „So was kann man ja nicht machen“, meint Flughafenchef Hesse. Und letzlich wollten Störenfried Wollny und seine Mandanten „doch nur abkassieren“. Womit er wieder ein bißchen recht hat. Denn so wird es kommen. Rainer M. Wollny ist sich sicher: „Kaufen müssen die ja irgendwann.“ Und dann „wird der Schaden gigantisch sein“. Und der Gewinn auf der anderen Seite auch nicht gerade klein.
Wollny hat Zeit. Die Grundstückspreise steigen, die Position der anderen Seite wird durch die verlorenen Prozesse „immer belämmerter“. Nach einem Gerichtsurteil gehört einem seiner Schützlinge neuerdings auch wieder ein hundert Meter breiter Streifen Land quer über die Startbahnen. Das macht den Anwalt fröhlich: „Da lassen wir die Flugzeuge demnächst alle einen kleinen Hupfer machen.“
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