: Da gibt's nur eins: Widerstand!
■ betr.: „Bayerische Politfolklore“, taz vom 21.8.1995
Es ist schon mehr als befremdlich, wenn das Leib-und Magen- Blättchen des deutschen Intellektuellen die Entgleisungen eines Edmund Stoiber als belanglos erklärt, so nach dem Motto: Es kommt ja sowieso nicht darauf an, was der von sich gibt – reine Politfolklore! Statt auf Gefahren für die Demokratie hinzuweisen, wenn Stoiber und Konsorten das Verfassungsgericht attackieren, polemisiert man lieber dürftig (und auch noch auf der Titelseite): „Bayerischen Populisten wie Stoiber das Aufrufen zum ,Widerstand‘ zu verbieten ist so albern wie das gegen Autonome
gerichtete Vermummungsverbot.“
Mal abgesehen davon, daß die Autonomen nicht in der Regierung sitzen und insofern auch keine demokratische Verantwortung tragen – wenn Bayerns Ministerpräsident offen den Verfassungsbruch propagiert, hat das mit dem obligatorischen Gezeter um unliebsame Gerichtsurteile nichts mehr zu tun, geschweige denn mit Politfolklore. Der Stoiber ist einfach verfassungsfeindlich und somit als Politiker untragbar. Und wenn dann ein Norbert Geis ins gleiche Horn stößt, indem er öffentlich die Verbindlichkeit eines BVerfG-Urteils für alle Verfassungsorgane bezweifelt, dann muß man sich doch fragen, wie der wohl rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden konnte. Schließlich entscheidet das BVerfG ja auf Grundlage der Verfassung. De facto fordert Geis, daß die Gesetzgebung nicht mehr an die Verfassung begunden sei. Von demokratischen Überzeugungen weit und breit keine Spur. Doch erkennt man in seinen Äußerungen immerhin eine gewisse Tradition, denn schon Dr. Hans Frank, Reichsrechtsführer bei den Nationalsozialisten, äußerte sich ähnlich: „Grundlage der Auslegung aller Rechtsquellen ist nationalsozialistische Weltanschauung, wie sie insbesondere in dem Parteiprogramm und den Äußerungen des Führers ihren Ausdruck findet.“ Nicht anders bei Herrn Geis, wenn er bedauert, daß die Grundlage unserer Rechtsquellen auf dem Grundgesetz und nicht auf dem Parteiprogramm der CDU/CSU basiert. Seine Forderungen machen deutlich, von wie wenig demokratischem Konsens mittlerweile unsere Demokratie getragen wird.
Weimar ist untergegangen, weil es keine Demokraten gab, die die Verfassung mit Leben erfüllt hätten, und nicht etwa, weil sie nicht demokratisch gewesen wäre. Und so ist es kein Trost, wenn die Gewaltenteilung genau deshalb in der Verfassung verankert wurde, um uns vor solche „Demokraten“ wie Geis oder Stoiber zu schützen. Notwendig ist vielmehr ein breiter Konsens über demokratische Verfahren, der nicht zuletzt durch die öffentliche Diskussion vermittelt wird. Gerade von der taz hätte man insofern ein bißchen mehr demokratisches Gewissen erwarten dürfen. Die Polemik, mit der man die Äußerungen eines Edmund Stoiber und Norbert Geis überzieht, nutzen da nur wenig. Irgendwann hört der Spaß auf, und zwar dann, wenn bayerische Gauleiter im verklärten Gedenken an gute alte Zeiten die erneute Gleichschaltung Deutschlands propagieren. Da gibt's nur eines: Widerstand. Michael Mantlik, Hamburg
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