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Kartoffeln für die Lufthansa-Kantine

Vor sechs Jahren hat Hamburg das Staatsgut Wulksfelde an ein Biohof-Team verpachtet. „Chaoten“ schimpfte der Bauernverband. Nun bekommen die Ökos einen Agrar-Preis für erfolgreichen Biolandbau  ■ Von Dirk Maxeiner

Ein sonniger Freitag, nach 14 Uhr. Die Wahrscheinlichkeit, um diese Uhrzeit in einer deutschen Behörde intelligentes Leben anzutreffen, ist denkbar gering. Um so größer die Überraschung in der Hamburger Umweltbehörde: Drei Herren und eine Dame aus den Referaten Land- und Forstwirtschaft warten gut gelaunt am runden Tisch.

Der Grund für die lockere Stimmung im Amt: Die PächterInnen des Hamburger Staatsgutes Wulksfelde erhalten mit 40.000 Mark den angesehenen „Agrar- Kultur-Preis“ der Schweisfurth- Stiftung als Anerkennung für besonders erfolreichen biologischen Landbau. Und die Umweltbehörde sorgte vor sechs Jahren in einem riskanten Amtsakt dafür, daß der damals marode Betrieb an eine ökologisch arbeitende Pächtergemeinschaft ging.

Woraufhin die Verantwortlichen für verrückt erklärt wurden. Eine Allianz aus Wirtschaftsbehörde, Bauernverband, ImmobilienfreundInnen und IndustrievertreterInnen hatte jeweils anderes mit dem begehrten Land im Sinn und die Felder eigentlich schon verteilt. Die Tonlage der Empörten traf eine Bild-Schlagzeile vom Frühjahr 1989: „Chaoten aufs Staatsgut Wulksfelde?“

Die Chaoten von damals sind die Vorbilder von heute. Das 267 Hektar große Gut Wulksfelde ist ein ökonomischer Erfolg. Während bis 1989 jährlich eine halbe Million Mark im Staatsgut versickerte, überweisen die neuen InhaberInnen mittlerweile rund 50.000 Mark Pacht pro Jahr an die Stadt. Und auch der ökologische Fortschritt läßt sich inzwischen in Zahlen ausdrücken: Eine vergleichende Studie erfaßte auf der Gutsfläche 103 Pflanzen- und 758 Insektenarten, einige davon auf der roten Liste. Gegenüber den angrenzenden Flächen sind Arten- und Populationszahl stark gestiegen. In vielen neuangelegten Sümpfen, Teichen und Hecken finden seltene Tiere Schutz.

Das Wichtigste aber: Hamburger BürgerInnen können pestizidfrei erzeugte Lebensmittel kaufen – was sie trotz der deutlich höheren Preise immer öfter tun. Meist wird der Einkauf mit einem Ausflug aufs Land verbunden. Wulksfelde liegt in der Nähe von Duvenstedt, wenige Meter hinter der Hamburger Stadtgrenze. Das weiße Gutshaus wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts am Ufer der Oberalster gebaut. Das Gebäude wirkt wie die Kulisse einer ostpreußischen Familiensaga; eigentlich müßte Curd Jürgens in Reithosen erscheinen und Romy Schneider vom Pferd helfen. Statt dessen begrüßt uns ein schmaler junger Mann, der als Manager in einem Hamburger Konzern durchginge. Andreas Brandt, Geschäftsführer der Betreibergesellschaft „Eco- Region GmbH“, kleidet sich lässig elegant. Mit Hafenstraße hat diese Erscheinung nichts zu tun.

Brandt entschuldigt sich für die bröckelnde Fassade des Gutshauses. Wie es sich für einen landwirtschaftlichen Betrieb gehört, haben die neuen PächterInnen auf Gut Wulksfelde zuerst die Wirtschaftsgebäude wiederaufgebaut und renoviert. Im Sekretariat summen diskret zwei Computer, vom großen Sitzungszimmer dahinter fällt der Blick auf die Terrasse und den verwilderten Garten zur Alster hinaus. Die einstmals herrschaftlichen Gemächer haben ihren Charakter gewechselt. In der Ecke steht ein kuhförmiger Sessel aus einem Theaterfundus, in der Mitte ein Sitzungstisch. Die Atmosphäre ist eine Mischung aus Wohngemeinschaft, Ingenieurbüro und Vorstandsetage.

Auf Wulksfelde hat sich ein Team junger, gut ausgebildeter Fachleute zusammengetan, um ihre Vision vom Arbeiten auf und Leben von dem Land zu verwirklichen: Ökologischer Landbau ohne Gift und Gülle und mit Rücksicht auf Flora und Fauna. Artgerechte Tierhaltung ist selbstverständlich. Und die Produkte werden wie schicke Feinkost vermarktet. Großkonzerne wie Lufthansa oder Volksfürsorge sind nicht tabu, sondern als Großkunden umworben. Der Däne Mogens Biune, pensionierter Marketing-Fachmann und ehrenamtlicher „Senioradviser“, hat für das Erfolgsrezept von Gut Wulksfelde einen Marketing- Fachausdruck zur Hand: „selling on the idea“, etwas über die Idee verkaufen.

Gearbeitet wird im Team, wobei die Zuständigkeiten klar verteilt sind. Die Biographien der AkteurInnen lassen auf leidvolle Erfahrung mit gruppendynamischen Prozessen schließen, man ist heute aus dem Gröbsten raus und geht „gesittet“ miteinander um. Das Mittagessen ist die einzige tägliche Gemeinschaftsveranstaltung, Bedingung: Es darf nicht über den Job gesprochen werden. Pünktlich kommen 20 ständige MitarbeiterInnen zusammen, denn ein wohlschmeckenderes Menü ist im weiten Umkreis nicht zu haben. Kartoffeln, Obst, Gemüse, Pilze, Brot, Eier und Fleisch kommen vom Gut: „Wenn wir hier Besuch von Banken, Kunden oder Behörden haben“, bemerkt Andreas Brandt, „dann melden die sich auffällig oft für die Mittagszeit an.“

Neben Andreas Brandt, von Beruf Landschaftsarchitekt, haben sich auch die übrigen BetriebsleiterInnen am Tisch versammelt: Eine Landwirtschaftsmeisterin, ein Diplom-Agraringenieur, ein Umwelttechniker und ein Kaufmann. Die fünf BereichsleiterInnen haben nicht nur unterschiedliche Temperamente, sondern auch sich ergänzende Talente: Das Melken einer Kuh erfordert andere Qualifikationen als das Vermarkten ihrer Milch.

Das Fleisch der Rinder ist bereits verkauft, bevor sie bei einem Metzger in der Nähe geschlachtet werden. Gegen Vorbestellung erwerben die Kunden ein Achtel Rind, wobei einige Wert darauf legen, das Tier vor dem späteren Verzehr persönlich kennenzulernen. Die widerstandsfähige Rasse bleibt den ganzen Sommer auf der Weide, und Heidrun Bahr, die für die Herde verantwortliche Landwirtschaftsmeisterin, muß nur ab und zu hinaus, um nach den Tieren zu sehen.

Henry Humburg, Kaufmann aus Berlin, leitet den Hofladen und hat den Umsatz mittlerweile auf jährlich 1,5 Millionen Mark gesteigert. Um ein gleichmäßiges Angebot zu haben, wird Bioware hinzugekauft. Greenpeace-Gründer David McTaggert liefert Olivenöl aus der Toskana, die Weine kommen von französischen Biowinzern. Sogar eine eigene „Premium“-Kaffeemarke ist zu haben. Wie in einem Feinkostgeschäft ist die Ware dekorativ ausgelegt. Es duftet nach Käse und frischem Brot.

Die Betonung von Genuß und pünktlicher Geschäftsabwicklung hat Gut Wulksfelde mittlerweile auch mit den großen Betriebsrestaurants der Lufthansa und der Volksfürsorge ins Geschäft gebracht. Dorthin werden vor allem Kartoffeln geliefert. Heidi Barghusen, die Wirtschaftsleiterin der Volksfürsorge in Hamburg, muß im Jahr 250.000 Essen pünktlich auf den Tisch bringen: „Da kann ich mir keine unprofessionellen Lieferanten leisten, die einfach nur 200 statt der vereinbarten 1.000 Eier abliefern.“

Für die Entscheidung, auch Bioware in den Speiseplan aufzunehmen, erntete sie zunächst Mißtrauen: „Ich mußte dem Personalchef und Betriebsratsvorsitzenden versichern, daß ich keinesfalls den KollegInnen das lebensnotwendige Fleisch entziehen oder gar nur noch Körnerkost auftischen würde“, erinnert sie sich: „Die Körner könnten ja zu Sprüngen in den Toilettenbecken führen.“

Andreas Brandt und seine Mitstreiter betrachten die Belieferung von Großküchen als „strategische Entscheidung“ und erhoffen einen langfristigen Imagegewinn für sich und den ökologischen Landbau. Feste mit Tausenden von Schaulustigen, zahlreiche Hofbesichtigungen sowie eine große Schleppjagd im Herbst bringen die Menschen aus Hamburg und Umgebung mit dem Hofgut in Kontakt.

Ergebnis: Immer mehr BürgerInnen setzen sich dafür ein, Hamburger Staatsflächen an ökologisch wirtschaftende Betriebe zu verpachten. Gut Wulksfelde ist ein Argument gegen die Verödung städtischer Randgebiete. Darauf scheinen auch die Damen und Herren von der Hamburger Umweltbehörde gesetzt zu haben.

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