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Besinnung auf biblisches Urgestein

■ Dem Teufel zum Trotz: Am Sonntag beteten freie und landeskirchliche Gemeinden gemeinsam

Immer wieder sonntags pilgern die Heerscharen zum Flohmarkt an der Bürgerweide. Gestern aber bog ein großer Teil schon vorher in die Stadthalle ab. Dorthin hatte die Evangelische Allianz zum „größten Gottesdienst in Bremen“ gerufen.

Zur Allianz haben sich in Bremen etwa zehn evangelische landeskirchliche und ebensoviele freikirchliche Gemeinden zusammengeschlossen, darunter die Heilsarmee sowie Methodisten- und Baptisten-Gemeinden. Die Freikirchlichen stellen 11 von insgesamt 17 Gemeinden, die erstmalig den eintägigen „Bremer Gemeindekongreß –95“ in der Stadthalle organisierten. Die Freikirchen, die sich ausschließlich selbst finanzieren, sammelten für das Riesenevent 60.000 Mark in ihren Klingelbeuteln.

„Komm und sieh“, hieß das Motto des Kongresses, und es kamen annähernd 3.000 frischgewaschene Gläubige aus Bremen und umzu. Was sie sahen, war zunächst einmal eine Reihe von Verkaufsständen: Man hielt religiös geprägte Spiele, Bücher, T-Shirts und CDs feil, während Bach akustisch das Seelenheil umplätscherte. Der „Christliche Cassettendienst“ verkaufte Bandaufnahmen.

Auf die Weise bleiben die Predigten von Ulrich Parzany, Kongreßteilnehmer und Generalsekretär des CVJM-Gesamtverbandes, allgegenwärtig. Der ist immerhin die rechte Hand von Billy Graham, dem als „Maschinengewehr Gottes“ bekannten amerikanischen Religionsentertainer, der bei der von der Allianz organisierten „Pro Christ 94“ via Satellit in die ganze Welt hinabgesprochen hatte.

„Eine Sehnsucht geht um“, schreibt der Bremer Allianz-Vorsitzende Bernd Bierbaum demgegenüber bescheiden im Einladungswort: „Die Gemeinde Jesu möchte mehr – an Liebe, an Vollmacht, an Verbundenheit mit Jesus.“ Und das heißt unbedingte „Treue zur Bibel als Gottes Wort“.

Die Treue zur Bibel ist, bei allen Unterschieden in lithurgischen oder theologischen Ansätzen, für alle Freikirchen oberstes Gebot. Die Mormonen mit ihren eigenen Büchern mußten daher die Allianz verlassen, bei der Bibel hört die Toleranz auf. Eine Haltung, die nicht nur von der evangelischen Landeskirche kritisch beäugt wird. Viele wittern hinter den Freikirchen eine fundamentalistische Bewegung.

„Eine völlige Verkennung der Situation“, versichert Dr. Meyer von der landeskirchlichen Matthäusgemeinde. „Es gibt bei uns nichts Autoritatives, keinen Zwang. Es handelt sich vielmehr um die Besinnung auf das biblische Urgestein.“

Es gehe um den Glauben an die Auferstehung Jesu, ergänzt Hannelore Schaffrath, die mit ihrem Mann den Cassettenstand leitet. Bis vor acht Jahren sei sie nur „Namenschristin“ gewesen, dann aber habe sie „den Rettungsweg gefunden“, den wahren Glauben. Den Unterschied zwischen Landes- und Freikirchen erklärt sie ganz irdisch: „Bei uns glauben die Pastoren wirklich an Gott, die anderen haben oft nur Theologie studiert.“

Die Stadthalle ist inzwischen bis auf die letzten Ränge gefüllt. Der Posaunenchor bläst, beherzt singen alt und jung Lieder, dazu fingerschnippend, Psalmen werden vorgetragen, die Augen zum Gebet geschlossen. Zwei Gläubige, der eine ehemals drogensüchtig, der andere totkrank, „geben Zeugnis ab von der wahren Erkenntnis“: Allein Gott, versichern sie, habe ihnen geholfen. „Das funktioniert nur, wenn ich Blickkontakt mit ihm halte“, warnt der eine. Das Liebäugeln „mit den obskuren Heilmethoden der Alternativmedizin“ bringe da nur vom Wege ab.

Während die Kinder in einem Nebenraum von Liedermacher Arno Backhaus musikalisch auf Jesus eingespielt werden, sprechen die Erwachsenen das Glaubensbekenntnis. „Dem Gott zur Ehre und dem Teufel zum Trotz“. Harte Worte aus dem Urgestein, die in der modern daherkommenden Geste, „Gottes Segen“ durch Händeschütteln weiterzugeben, beinahe wie selbstverständlich klingen.

Die „Rechte Hand von Billy Graham“, Ulrich Parzany , verfährt nach demselben Rezept: Während er in Unterhaltungsmanier locker daherwitzelt, trommelt er der Menge fundamentale Glaubenssätze ein. Dadurch weiß er zu verhindern, daß die „Erweckung“ einschläfernd wirkt. „Wir sind im Tiefsten verloren ohne Jesus“, prophezeit er den Ungläubigen ein unheilvolles Ende. Den 3.000 ZuhörerInnen spricht er ins Gewissen und aus der Seele. dah

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