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„I sleep with everybody“

■ Illustre Gäste, viel Engagement und eine zugeknöpfte Stadtverwaltung beim 2. Filmfest Oldenburg/ Low-budget-Kreativität vs. fette TV-Budgets

Rathaus Oldenburg, Empfangssaal. Getäfelte Decke, Damen mit Tabletts zirkulieren. Man steht im kleinen Kreis bei Orangensaft und „650 Jahre Oldenburg“-Jubiläumssekt (trocken). Schnittchen warten im Hintergrund. Thorsten Ritter und Torsten Neumann, die Filmfest-Macher, sind da, GästebetreuerInnen, zwei Fotografinnen – und Frank Oz. Dem 51jährigen Komödienregisseur („Der kleine Horrorladen“, „Zwei hinreißend verdorbene Schurken“), den Muppets- und Sesamstraßen-Erfinder Jim Henson seinerzeit in seine Truppe holte, war die Retrospektive auf dem Filmfest gewidmet. Ein soignierter Herr und Stargast, der in Oldenburg, um es einmal so auszudrücken, nicht vom Presserummel abgeschirmt werden mußte. Auftritt Hans Dieter Holzapfel, Oberbürgermeister von Oldenburg. Wenn es um seine Stadt geht, sagt er, kommt er immer ins Schwärmen. In einer Illustrierten („Bunte“) hat er gelesen, daß die Oldenburger laut Statistik die glücklichsten Deutschen seien. Seine Grußadresse an die Festival-Macher fällt weniger schwärmerisch aus. „Beim dritten Mal wird alles besser“, ermutigt Holzapfel die beiden jungen, engagierten Organisatoren, obwohl ja eigentlich noch gar nichts schief gelaufen ist.

Außer vielleicht der Finanzierung: 200.000 Mark haben die Veranstalter für das Filmfest aufgetrieben. 70.000 Mark kommen vom Land Niedersachsen, der Rest von Sponsoren und aus dem Eintrittskartenerlös. Die Stadt mußte passen. Und stellte dafür einen Veranstaltungsraum zur Verfügung. Neumann und Ritter bewahren gute Miene, beim letzten Mal gab es schließlich auch nur 8.000 Mark aus dem dürren Stadtsäckel.

Keine Preisverleihung, keine Jury. Ein Publikumsfestival mit Filmemachern zum Anfassen sollte es werden. Und wenn auch nicht alle kamen, die erwartet wurden: die Publikumsgespräche, die allabendlich in die „Festival-Lounge“ der Kulturetage lockten, waren niederschwellig angelegt. Berührungsängste wegen Starallüren brauchte niemand haben. In Oldenburg bleibt man auf dem Teppich.

Nur nicht mit dem Programm. Schwerpunkt waren einige hochwertige US-low budget-Independents, die einmal mehr zeigten, zu welchen kreativen Schüben finanzielle Zwänge führen können. Zum Beispiel „The Incredibly True Adventure of Two Girls in Love“ der New Yorkerin Maria Maggenti. Gerade mal 200.000 Dollar hat ihr Debüt um die lesbische Beziehung zweier Teenager unterschiedlicher Hautfarben und Herkunft gekostet. Ein Ding der Unmöglichkeit? „I offered to sleep with everybody“, scherzt Maria Maggenti und lacht sich, Bierflasche in der Hand, kaputt. Gagen gab es keine, und das Budget reichte oft nur für einen Take pro Einstellung, aber keinem einzigen Bild ist der Sparzwang anzusehen. Die geschickte Wahl des Bildausschnitts ist alles und spart Unsummen. Maria Maggenti zeigt, wie es funktioniert und begeisterte das vorwiegend weibliche Publikum: „The film was made by an all-female team!“ freut sie sich nach der Vorführung, der ersten ihres Filmes in Deutschland. Applaus von der Oldenburger Frauenfront.

Einen unschönen Beweis für ein Zuviel an Budget lieferte dagegen TV-Routinier Kasper Heidelbach in seiner SAT.1-Auftragsproduktion „Babyfon“. Auf der großen Leinwand und ohne Werbeunterbrechungen (Sendetermin 15.10.) ging der Thriller um die bösen Machenschaften einer Düsseldorfer Juweliersfamilie und ihr heldenhaftes Kindermädchen einfach unter. Nichtsdestotrotz: Regisseur und Schauspieler sonnten sich beim Publikumsgespräch über die Zukunft des deutschen Filmes in ihrer 3,5 Millionen-Marks-Produktion. Vermutlich trägt der Regisseur Gürtel und Hosenträger, weil er seinen Bildern so wenig traut, daß die Spannung immer noch mittels waberndem Klangbrei signalisiert werden muß. SAT.1 bleibt SAT.1: Darauf sollte man auf einem Filmfest in Zukunft verzichten. War es etwa das, was OB Holzapfel schon geahnt hatte, als er sagte, beim nächsten Mal wird alles besser?

Fast 70 Spielfilme – Japan-Reihe, Sonderreihe mit Filmen der Roger Corman-Schülerin Katt Shea, Internationale Reihe, Independent-Reihe – gab es zu sehen, und ebenso viele Journalisten sollen akkreditiert gewesen sein. Nun ja. Einige von ihnen werden sich wohl ganztägig in der Festivalkneipe „Villon“ gegenüber der Kulturetage verkrochen haben, zu den eigens angebotenen Pressevorführungen ließen sie sich jedenfalls kaum blicken. Aber in der „heimlichen Hauptstadt Niedersachsens“ (Holzapfel) trifft sich nicht die Branche, hier trifft sich das Publikum. Und Thorsten Ritter und Torsten Neumann haben schon Ideen, wie aus den Oldenburgern noch knallharte Cineasten werden.

Alexander Musik

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