Die große Abhängigkeit im pazifischen Ozean

■ Französisch-Polynesien ist eine Atomökonomie, am Tropf der Einnahmen, die die Atomtests mit sich bringen. Pariser Subventionen schwächen den Widerstand

Papeete (taz) – In Französisch- Polynesien gab es wirtschaftlich gesehen zwei Epochen: die Zeit vor dem CEP und das Zeitalter des CEP. CEP heißt Zentrum für Experimente im Pazifik und ist die Militärbehörde, die für die Durchführung der Atomtests zuständig ist. Bisher nämlich lebt Polynesien von der Atombombe. Das Geld aus Frankreich ist die Anästhesie, die die Atomtests für die örtliche Bevölkerung erträglich machen soll.

Im Vorfeld der neuen Testserie besuchte jetzt der französische Minister für die Überseeterritorien, Jean-Jacques de Peretti, Tahiti und teilte weitere Narkotika aus: 5 Milliarden französische Franc bis zum Jahr 2003, zusätzlich zu den üblichen Finanztransfers in Höhe von jährlich 4,6 Milliarden Franc.

Mit der Unabhängigkeit Algeriens 1962, wo die ersten französischen Atomtests stattfanden, begann das, was die Anthropologin Marie-Thérèse Danielsson die „De-Gaullonisation“ Polynesiens nennt. 1968, zwei Jahre nach der Explosion der ersten Atombombe auf Moruroa, arbeitete die Hälfte der erwerbstätigen Bevölkerung für die Atombombe. Mittlerweile ist der Anteil auf 12,5 Prozent gesunken. Das sind über 8.000 Menschen, die direkt oder indirekt durch die Atomtests ihr Auskommen haben.

Das CEP zahlte fast zehnmal mehr, als ein einfacher Fischer verdienen konnte. Die Arbeiter wurden größtenteils auf der Hauptinsel Tahiti in kleinen Holzbaracken angesiedelt, und dort blieben sie auch. Die traditionelle Wirtschaftsweise ist so innerhalb einer Generation fast überall, bis auf die entlegensten Inseln, verlorengegangen.

„Es ist nicht gut, daß wir nicht mal mehr wissen, wie man Taro und Maniok anbaut“, sagt ein ehemaliger CEP-Arbeiter, der in einem adretten Reihenhäuschen aus Holz am Rande von Papeete wohnt, einer vom französischen Staat in den letzten Jahren gebauten Sozialwohnung. Hier kann die Familie nicht mehr im traditionellen Erdofen, der in den Boden gegraben wird, kochen. „Aber andererseits“, erwidert seine Frau, „ich möchte nicht zurück. Kein Strom, kein Gasherd – für die Frauen ist das hart.“ Vor der Tür steht ein kleiner Daihatsu, im Hinterzimmer plärrt der Fernseher.

Inzwischen müssen 70 Prozent aller Nahrungsmittel importiert werden. Polynesien ist eine reine Dienstleistungsgesellschaft geworden. Über ein Drittel der Erwerbstätigen arbeitet für die militärische und zivile Verwaltung, ein weiteres Drittel ist im Bereich Handel und Tourismus beschäftigt. Nur knapp zwölf Prozent, das sind gerade mal 7.600 Menschen, sind noch Fischer oder Landwirte.

Industrie existiert kaum, allenfalls die Verarbeitung von Kopra zu Kokosfett und die Herstellung von kosmetischem Kokosöl, Monoä genannt.

Der Lebensstandard ist dabei recht hoch, Bettler sind kaum zu sehen, und auch die ärmsten Behausungen auf Tahiti haben Strom- und Wasseranschluß. Das jährliche Sozialprodukt pro Kopf liegt immerhin bei 77.500 Franc. Und das, obwohl auf Tahiti und den anderen polynesischen Inseln nur wenig produziert wird – die Hauptexportgüter sind Kokosöl, schwarze Perlen und Vanille. Auch der Tourismus hält sich wegen des prohibitiv hohen Preisniveaus in Grenzen. Insgesamt stehen den 2,3 Milliarden Franc Einnahmen Ausgaben in Höhe von fast 7 Milliarden Franc gegenüber. Die Differenz zahlt klaglos der französische Staat, immerhin 21.400 Franc im Jahr für jeden Einwohner der Inseln. Französisch- Polynesien kann sich also nur zu einem Drittel aus eigener Kraft finanzieren. So erklärt es sich denn auch, warum sich in Tahiti bisher die Proteste gegen die Atomtests sehr in Grenzen gehalten haben: Die Bevölkerung hat sich ihren Schneid abkaufen lassen. Vor allem die vielen Beamten fürchten um ihre Jobs, die Kleinunternehmer um ihre Aufträge. Tatsächlich sind die französischen Arbeitgeber schnell mit der Kündigungsdrohung bei der Hand, und darauf ankommen lassen will es hier kaum jemand.

Die Polynesier seien kein sehr aufrührerisches Völkchen, findet Marie-Thérèse Danielsson. Früher hätten sie sich ihren traditionellen Chefs unterworfen, und dies sei dann übergangslos in eine Unterwerfung unter die neuen Chefs, die politischen Führer und die Arbeitgeber übergegangen. „Die Großen sind für die Bombe, weil sie ihnen Geld bringt, und die Kleinen sind dafür, weil die Großen dafür sind“, sagt die 72jährige Aktivistin in der Anti-Atom-Bewegung ein wenig resigniert.

Doch diesmal scheint es doch anders als sonst zu sein. Diesmal kommt der Widerstand auf die Beine. Die junge Generation, die nicht mehr ohne weiteres gutbezahlte Jobs bei dem Militär oder der Zivilverwaltung erhoffen kann und die keine Zukunft mehr mit dem CEP sieht, die schweigt nicht länger. Nicola Liebert