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Berlin wählt am 22. Oktober. Von Aufbruch bislang keine Spur: Der Senat, eine Koalition aus CDU und SPD, ruht sich aus auf seinen in Beton gegossenen Erfolgen. Regiermeister Eberhard Diepgen palavert über das "Zusammenwachsen der Stadt", di

Berlin wählt am 22. Oktober. Von Aufbruch bislang keine Spur: Der Senat, eine Koalition aus CDU und SPD, ruht sich aus auf seinen in Beton gegossenen Erfolgen. Regiermeister Eberhard Diepgen palavert über das „Zusammenwachsen der Stadt“, die SPD, als Juniorpartner mit am Regierungstisch, profiliert sich auf ihre Weise: Konzeptlosigkeit preist sie als sozialdemokratisches Programm der Zukunft.

Flughafen? Egal! Mieten! Wie bitte? Das Tor ist das Ziel

Die CDU läßt mal wieder den Bären raus: „Berlin brummt“, plakatieren die Christdemokraten, lassen den Petz grinsen und wollen das als politische Aussage verstanden wissen. Die SPD kann da intellektuell mithalten: „Für eine bessere Politik“, verspricht die Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer. Wohltuend wirkt dagegen der „wahre Heino“, der Spitzenkandidat der Kreuzberger Patriotischen Demokraten/Realistisches Zentrum. „Geld, Macht und Ruhm“ will der ehemalige Punksänger auf der politischen Bühne erlangen und möchte der Stadt täglich zwei Stunden den Strom abstellen.

Wenn der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (53) zu dem ansetzt, was er für einen philosophischen Exkurs hält, kann kaum einem Ortsfremden verständlich gemacht werden, wie der einstige Korpsstudent mit über zehnjähriger Amtszeit zum dienstältesten Regiermeister der Nachkriegszeit werden konnte. Dabei wurde Diepgen 1989 von den Berlinern nach seinen Verwicklungen im Bestechungsskandal schon einmal abgewählt – um 1990 nach dem Ende des rot-grünen Bündnisses als Chef der Großen Koalition zurückzukehren. Daß dem „blassen Eberhard“ in den letzten Jahren sogar gewisse Popularität zuwachsen konnte, sagt einiges über das Führungspersonal der Hauptstadt.

Der Mann, der sich im Wahlkampf mit Federschmuck als „Häuptling Großer Bär“ abbilden läßt, redet gerne über das „Zusammenwachsen der Stadt“ und die „Vollendung der Einheit“. Ingrid Stahmer, die als SPD-Sozialsenatorin mit am Regierungstisch sitzt, steht da nicht zurück: Ihrer Partei sei es gelungen, den „sozialen Frieden“ in der Stadt zu wahren.

Nach fünf Jahren Großer Koalition liegt friedfertige Langeweile über Berlin. Wäre da nicht der 22. Oktober, die Bürger hätten die Wahlen zum Abgeordnetenhaus glatt vergessen. Von Aufbruch keine Spur – außer an jenen mächtigen Baustellen, wo der Senat seine größten Erfolge in Beton gießen läßt: in der Friedrichstraße oder am Potsdamer Platz. Heftig kritisiert, ist gerade die Rekonstruktion der Berliner Mitte für viele Politiker von SPD und CDU der Beweis, daß die Große Koalition so schlecht nicht gearbeitet haben kann. Unter Rot-Grün, so sagen manche SPDler, hätten wir das nie hingekriegt. Und verweisen stets gerne auf die Privatinvestoren, die ohne Große Koalition wohl ferngeblieben wären.

Über den desolaten Zustand der Konkurrenz kann sich die CDU nur freuen. Diepgen, so wird auf den Fluren des Roten Rathauses kolportiert, sei in den letzten Wochen merklich entspannter geworden. Kein Wunder, prognostizieren die Umfragen seiner Partei mittlerweile satte 38 Prozent, sieben Punkte vor der SPD.

Unter Rot-Grün hätten wir das nie hingekriegt

Zaghaft nehmen sich Stahmers Versuche aus, sich von Diepgen abzusetzen. Dabei tritt sie auf Minen, die ihre eigene Partei mitgelegt hat. „Die Olympia- oder Hauptstadt-Kampagnen“, tadelte sie jüngst die CDU, „gingen an der Stimmung der Menschen vorbei.“ Sie hätte es lieber nicht sagen sollen, denn das Echo der CDU wie auch der Oppositionsparteien Bündnis90/Grüne und PDS kam prompt. Hatten nicht auch die SPD-Senatoren tatkräftig die Olympia-Bewerbung mitgetragen und genauso zerknirscht dreingeblickt, als der Senat mit seinem Projekt scheiterte?

Dabei sah Anfang des Jahres alles noch ganz anders aus. Da fragten sich manche CDU-Mitglieder, ob nicht auch sie eine Urwahl hätten durchführen sollen. Die Medienberichterstattung über Stahmers Sieg gegen ihren parteiinternen Herausforderer Walter Momper hatte der SPD massive und kostenlose Werbung eingebracht. Aber die Erwartungen, die Stahmers Höhenflug weckte, verflogen rasch. Programmatisch vermeidet sie es, sich festzulegen. Rot-Grün? Wenn möglich. Ein Wechsel sei es aber auch, wenn die SPD in der Großen Koalition die CDU als Nummer eins ablösen würde.

Als wolle sie ihre Schwäche mit einer Kraftanstrengung ausgleichen, verzettelt sich Ingrid Stahmer in zahllosen Einzelveranstaltungen: 250 Termine stehen in ihrem Kalender, vorzugsweise kleine Runden in den Bezirken, Gespräche mit Bürgern und Basisinitiativen. Doch der hektische Aktionismus wird überlappt von ihrem Widersacher Momper, der die „Chancen für Rot-Grün ausloten“ will.

Den ehemaligen Regierenden Bürgermeister des 1990 gescheiterten rot-grünen Senats treibt der persönliche Ehrgeiz. Seiner Partei, die ihm einen aussichtsreichen Platz verweigerte, will er es nun als Direktkandidat im Bezirk Neukölln zeigen. Auch wenn seine Veranstaltungen mit den Grünen kaum mehr Publikum anziehen als Stahmers gesellige Runden, so berichten die Medien doch weitaus ausführlicher.

Nebenbei offenbart Mompers Nebenwahlkampf, was der SPD abgeht: Themen. Überall, wo man auf die eigenen Anstrengungen verweist, steht die CDU gleich nebenan. Da mag man noch so oft wiederholen, daß die Grundlagen für die Länderfusion mit Brandenburg, die Lohnangleichung für die Ost-Beschäftigten des öffentlichen Dienstes oder die Verwaltungsreform ohne den Druck der SPD gescheitert wären. Am Ende bleibt Diepgens Name mit allen Erfolgen auf das engste verwoben.

Das Dilemma der SPD bleibt die eigene Kraftlosigkeit. Lieber weiter als Juniorpartner an der Regierung beteiligt als ganz draußen zu landen, lautet das Credo des SPD-Fraktionsführers Klaus Böger. In fünf Jahren Regierung, so scheint es, haben die Sozialdemokraten das Verwalten liebgewonnen und schnarchen am Regierungstisch vor sich hin. Nur einmal krachte es richtig in der Großen Koalition – das Ergebnis war symptomatisch für den Zustand der SPD. Als im vergangenen Jahr der frühere Fraktions- und Landesvorsitzende Ditmar Staffelt mit der Forderung nach Absetzung des CDU-Innensenators den Bruch der Koalition riskierte, fielen ihm einige seiner Fraktionskollegen in den Rücken. Staffelt ging, die Partei machte unbeirrt weiter.

Themen, die bundesweit diskutiert werden, etwa die Verkehrspolitik, ließ die Berliner SPD an sich vorbeisausen. Dafür erschöpfte man sich in einem absurden Streit über die Öffnung des Brandenburger Tores. Die schwierige Ost- West-Angleichung, die katastrophalen Finanzlöcher durch den zu raschen Abbau der Bundessubventionen, die Fusion der Bundesländer Berlin und Brandenburg und die Suche nach einem Standort für einen neuen internationalen Flughafen verblaßten dagegen.

Wohl noch nie ist eine Berliner Koalition derart streitarm ausgeklungen. Wenn überhaupt, dann waren es zwei Themen, die die Hauptstadt bewegten: die von finanziellen Nöten diktierte Kulturpolitik und die Neugestaltung des historischen Zentrums. Das war nicht zuletzt das Verdienst von CDU-Stadtenwicklungssenator Volker Hassemer, der Experten zu Foren über die Gestaltung der Stadt einlud, oder seines ebenso umtriebigen Kollegen, des SPD- Bausenators Wolfgang Nagel.

Weil die Genossen inhaltlich keine Alternative zu formulieren wissen, stürzen sich die Medien auf die Mängel ihrer Wahlkampfstrategie. Noch hält die Parteidisziplin gegenüber der Spitzenkandidatin. Kritik an Ingrid Stahmer wird namenlos geäußert, aber die fällt dann um so heftiger aus. Kein Biß habe der Wahlkampf, ihr Berater sei zu jung und unerfahren, und die Kandidatin sei verbraucht, bevor es richtig losgegangen sei. Severin Weiland, Berlin

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