Ohne Esel kein Goldesel

■ Reich durch Prospekteverteilen. Dubiose Firma versucht, sich Bremen zu erobern.

Sie möchten bei 10 Stunden Wochenarbeit 11.150 Mark monatlich verdienen? Kein Problem, meint Edgar Gatz, „Ihr Ansprechpartner“ bei der Wiesbadener „Mega Hotline GmbH“. Im Hotel zum Werder-See erklärt er, wie BremerInnen mit dem Verteilen von Prospekten stinkreich werden können.

Gekommen sind die, die man immer bei solcherlei Veranstaltungen sieht: gutgläubige MigrantInnen, 50jährige Arbeitslose, sowie Männer mit Goldkettchen und dem sicheren Gespür für skrupellose Geschäfte. Alle müssen ihre Adressen hinterlassen, für Nachfragen.

Edgar Gatz in Schlips und Sakko scheint nervös. Endlich beginnt er, schiebt, begleitet von fulminanten Wortkaskaden, Folien über den Tageslichtprojektor. Bei einer „einmaligen Investition von 425 Mark“ könne man bis zu 6.550 Mark im Monat verdienen, trommelt er auf das Publikum ein. Es wird noch früh genug erfahren, daß die 425 Mark monatlich zu zahlen sind.

Die Mega Hot Line, erklärt Gatz, sucht „keine Menschen mit dem Eimer auf dem Kopf. Wir suchen selbstständige Partner“. Diese sollen im „04-Bezirk“ Bremen (Vorwahl 04) für die Werbung der Firma sorgen, die einen telefonischen Kleinanzeigendienst aufbauen will. Audiotex heißt dieser Service, der unter einer 0190er Nummern erreichbar ist. Wie aber lernen die BremerInnen die Nummer kennen?

Ganz einfach. Alle 4,8 Millionen Briefkästen im 04-Bezirk sollen mit den Werbekärtchen der Hot Line bestückt werden. Bei 2.400 Verteilgebieten a 2.000 Briefkästen, rechnet Gatz, müsse jeder Verteiler zweimal monatlich je 2.000 Karten in die Kästen stecken. Plus 1.000 für Extraveranstaltungen wie Discos oder Fußballspiele. Das habe man in maximal zehn Stunden Arbeit erledigt, selbst auf dem Land. Geld erhalten die VerteilerInnen jedoch nur, wenn Anrufe unter der 0190er Nummer getätigt werden. Eine Gesprächsminute kostet 1,15 Mark, „20 Pfennig pro Anrufminute erhalten Sie, Ihr Einkommen wächst mit jedem Anruf!“ Für die erste Zeit prophezeit Gatz 600 Mark monatlich, die voraussichtlich auf 4.200 Mark ansteigen. „Wir brauchen Pioniere“, wirft sich der Redner in die Brust, „werden Sie ein Audiotex-Pionier!“

Gatz legt dramaturgisch geschickt eine Pause ein. Er suhlt sich in der Atmosphäre zwischen Fischmarkt und Statistikseminar. Mal kumpelhaft volksnah, dann wieder abstrakte Zahlenjonglage. Dabei sind nicht nur 600 Mark drin, ködert er weiter. Schließlich könne, wer schon mal an den Briefkästen steht, auch noch „vier kleine Prospekte zusätzlich“ dort unterbringen. Anhand der vom Verteiler eingestempelten Kennummer könne dann der Rücklauf errechnet werden. Bis zu 4.000 Mark lägen da monatlich drin, „und dafür kann man doch wohl ein bißchen stempeln“. Der Mann spricht wie ein Maschinengewehr, für Zwischenfragen ist keine Zeit. Als ein älterer Herr laut „Schwindel“ ruft, verliert der Meister jedoch die Fassung. Mit anderen Mega Hot Linern prescht er auf den Verräter zu und fordert ihn auf, sofort den Saal zu verlassen. Touché.

Draußen erzählt der Pole, er sei von einem Fremden telefonisch in polnischer Sprache auf die Veranstaltung aufmerksam gemacht geworden. Er sei froh, gekommen zu sein, denn es habe sich bestätigt, daß solche Betrügereien nicht nur im Osten beheimatet seien. Drinnen hat derweil die Aufklärung über die dritte Verdienstmöglichkeit begonnen. 6.550 Mark kann zusätzlich einheimsen, wer „Vetriebsrepräsentanten“ wirbt und Bezirke verkauft. Auf die Weise könne man die neun Stufen des „Super-Karriere-Systems“ emporklettern.

„Ist doch alles abgekupfert“, schimpft ein zweiter Zuhörer. Er ließ bei einer Firma, die dasselbe Zahlen- und Bildmaterial benutzt habe, über 800 Mark „Lizenzgebühr“. Fürs Prospekteverteilen erhielt er ganze 17 Mark. Bevor er mehr einklagen konnte, hatte die Firma Pleite gemacht. Eine Erfahrung, die die Bremer Polizei bestätigt. „Alle 14 Tage erscheint ein neuer Name mit immer kürzeren Laufzeiten“, sagt der Sachgebietsleiter der Betrugsabteilung. „Dabei werden die Methoden immer aggressiver.“ Die Polizei warnt vor derlei Firmen, die bei sogenannten „Unternehmerspielen“ Riesengewinne in Aussicht stellen. „Die wären doch blöd, wenn sie den Kuchen aufteilen, anstatt ihn allein zu essen.“

Mit einer Zivilklage hatte das Jungunternehmen Mega Hot Line bereits zu tun: Der Deutsche Schutzverband gegen Wirtschaftskriminalität warf der Mega Hot Line mit Sitz in Wiesbaden unerlaubte Wettbewerbsmethoden vor. Diese legte daraufhin Klage ein, doch das Landgericht Wiesbaden bestätigte den Verdacht des Schutzverbandes. dah