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Ist nicht jeder Film frauenfeindlich?

Off-Kinos, Folge 6: Einst war das Sputnik Wedding Schauplatz echter Filmgeschichte, dann mit diversen Spielstätten sogar ein kleiner Konzern. Jetzt wartet es auf bessere Zeiten  ■ Von Thomas Winkler

Wir schreiben das Jahr 1957. Die unendlichen Weiten sind gänzlich unerforscht und noch verkehrsberuhigt. Die Russen schießen ihren ersten Sputnik ins Weltall. Und im Wedding wird ein Kino eröffnet, das den heimeligen Namen Maxim trägt.

Viele Lichtjahre später, exakt 1984, übernehmen sieben tapfere Lichtspielpioniere das heruntergewirtschafte Lichtspielhaus neben der S-Bahn-Brücke und nennen es Sputnik. Ein Zufall, wie Matz Müller versichert, der wenige Monate später zum Kollektiv stieß und seitdem dabeigeblieben ist: „Wir wollten damals was machen, was uns Spaß macht, wo wir uns verwirklichen, austoben konnten.“

Doch bevor es dazu kam, mußte das Sputnik, das damals noch nicht so hieß, lange Jahre ein freudloses Schicksal als Bezirkskino fristen. Sogar der Umbau zum Porno- Kino drohte zeitweilig. Die glorreichsten Tage des Kinos waren die frühen bis zum Bau der Mauer: Das Maxim war ein sogenanntes „Grenzgängerkino“, die unmittelbare Nähe zum Ostteil der Stadt lockte viele Bürger der DDR zu den neuesten Filmen aus der Produktion des Klassenfeindes.

Doch was nach 1984 kam, das hatte der beschauliche Wedding noch nicht erlebt. Ein kleines bißchen wurde hier sogar Filmgeschichte geschrieben: Mit einer Retrospektive trug das Sputnik nicht unmaßgeblich zu Rehabilitierung von Sam Peckinpah bei. Ähnliches gilt für David Cronenberg. Es gab ein Festival mit sowjetischen Science-fiction-Filmen, und legendäre Lesungen und Konzerte fanden statt.

Kontroverser als die Linken erlaubt hätten

Ein turbulenter Höhepunkt in der Geschichte des Kinos wurde die PorNO-Debatte, in die sich das Kino zeitlich unglücklich mit einem Programm einmischt, das Pornos aus den 20er Jahren dokumentiert. Eine von Feministinnen zerstörte Leinwand, hitzige Diskussionen und auch tätliche Auseinandersetzungen im Februar 1993 waren die Folge.

„Ich bin prinzipiell gegen jede Art von Zensur. Aber es war interessant zu sehen, was Kino zeigen darf und was nicht“, sieht Müller die damalige Situation inzwischen recht abgeklärt. Und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen: „Früher war das Programm viel kontroverser. Wir haben die Ilsa-Filme [derbe Sex&Crime-Streifen, die teilweise sogar im KZ spielen, Anm. d. A.] gezeigt. Wenn die Linken das mitbekommen hätten... Aber okay, wir haben die PorNO- Debatte überstanden und Alice Schwarzer hat sie überstanden. Und eigentlich ist doch jeder Film frauenfeindlich.“

Das größte Problem über die Jahre war aber natürlich wie überall das liebe Geld: „Wir haben zwar davon gelebt, aber eigentlich konnte man nicht davon leben. Wir hatten 700 Mark im Monat.“ Der Wedding allein trug sich nicht, eine zweite Abspielstätte mußte her. An einen Umbau war nicht zu denken, nicht nur weil da der Denkmalschutz vor wäre, sondern auch weil die Sputniks die Zerschachtelung des schönen alten Saals mit exakt 297 Plätzen niemals übers Herz gebracht hätten.

So bauten und eröffneten sie 1988 in einer Fabriketage in Kreuzberg das Sputnik Südstern, um mehr verschiedene Filme und einzelne Filme auch länger spielen zu können. Im gleichen Jahr kam noch das Verleihgeschäft hinzu. 1989 übernahmen sie das Xenon in Schöneberg, beließen dort aber alles beim alten.

Vor zwei Jahren einverleibte sich das Kollektiv auch noch das Steinplatz-Kino, und plötzlich war man fast ein kleiner Konzern. „Aber wir können immer noch nicht davon leben. Was meinst du, wieviel Arbeit das ist?“ Zur Geldbeschaffung begannen sie deshalb 1990 mit Freiluftkino in der Hasenheide und später auch im Friedrichshain: „Das Freiluftkino bringt im Sommer drei, vier Kinos auf Plus-Minus-Null.“

Andererseits war „irgendwann die Luft raus“, erzählt Müller, „das ist klar, wenn zehn Jahre lang sieben Leute so geballt zusammenarbeiten.“ Vor wenigen Monaten ging man trotz der jahrelangen Streitigkeiten im Frieden auseinander, entzerrte die Geschäftsstrukturen und verteilte die Kinos auf einzelne Betreiber.

Seitdem sind Müller und sein Partner Stefan Arndt allein für das Sputnik Wedding zuständig und wollen ein wenig in der Zeit zurückreisen, wieder weg von den fast ausschließlichen Erstaufführungen, die in den letzten Jahren das Image etwas ruiniert haben.

Eine neue Lust auf Kino ist schon spürbar

Ganz so wie früher wird es sicher nicht mehr werden, aber „es wird was passieren, das ist man dem Publikum auch schuldig. Es sollte eine gute Mischung aus Erstaufführungen und Repertoireprogramm werden. Ein besseres Nachtprogramm soll kommen.“ Man könnte zwar noch soviel andere, ausgefallene Sachen zeigen, aber „das überlasse ich dem Eiszeit, weil die das sowieso besser können.“ Nicht zuletzt deshalb, weil einer der Eiszeitler mal ein Sputnik war.

Die kultische Verehrung, die das Sputnik zeitweilig genoß, als selbst Kreuz- und Schöneberger anreisten, sich bis zum Morgengrauen durch lange Nächte quälten, um anschließend im „Taxi Moon“ ein frühes Frühstück einzunehmen, die wird nicht wieder zurückkommen. Aber nach einigen „Dürrejahren“ hofft Müller, daß „das Zuhausehocken vorm Video wieder vorbei ist. Man merkt, daß die Leute wieder mehr Lust aufs Kino kriegen.“

Aber selbst ein solch moderates Programm wird wieder ein Experiment, denn „eigentlich kannst du hier kein Repertoireprogramm machen. Die Leute fahren einfach nicht mehr in den Wedding.“ Aber Berufsoptimist Müller glaubt fest daran, daß sich auch in diesem traditionell lahmen Bezirk „in den nächsten zwei Jahren was ändern wird“.

Und auch wenn lange Nächte, bei denen früher im Sputnik 120 bis 150 Zuschauer normal waren, sich längst schon nicht mehr lohnen, taugt doch das Freiluftkino noch für erinnerungswürdige Kinoerlebnisse: „,Apocalypse Now‘, das war toll. Der Film ist immer am besten, wenn es regnet.“

Morgen kommt Lydia Lunch zur Lesung ins Sputnik Wedding, Reinickendorfer Straße 113

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