: Die Stadtflucht der Spediteure
■ taz-Serie Güterverkehr: Vor den Toren Berlins werden drei riesige "Güterverkehrszentren" geplant. Der Verkehr wird dadurch eher noch zunehmen
Der Güterverkehr steckt im Stau – und die Spediteure planen die Flucht ins Umland: Vor den Toren Berlins sollen in den nächsten Jahren drei riesige „Güterverkehrszentren“ (GVZ) entstehen, in denen die Güter für Berlin umgeschlagen werden sollen. Was die Spediteure und die Verkehrsverwaltung als Strukturmaßnahme gegen den Verkehrsinfarkt in der Stadt preisen, wird von Umweltschützern anders gewertet: Die Zentren, so der BUND in einer Studie, „stellen keine Entlastung der Umwelt dar. Sie sind Maßnahmen der Wirtschaftsförderung, nicht des Umweltschutzes.“
Seit der Maueröffnung stöhnt vor allem das Transportgewerbe unter dem Dauerstau: Die Lkw- Flotte fährt nur noch halb so schnell durch Berlin wie 1988, bei gleicher Menge der beförderten Güter quälen sich deshalb 40.000 statt wie früher 20.000 Lieferwagen durch die Straßen, klagt der „Verband der Spediteure Berlin und Brandenburg“. Der Verkehr ist höchst ineffizient organisiert: 35 Prozent der Speditions-Lkw und 60 Prozent der werkseigenen Transporter brummen leer durch die Stadt. Und die Aussichten für den Güterverkehr der Zukunft sind zugleich rosig und düster: Eine Verdreifachung der Gütermenge auf der Straße von derzeit 10,2 Millionen Tonnen im Jahr auf 33,3 Millionen im Jahr 2010 sagt der Bundesverkehrswegeplan für Berlin voraus: Eine Wachstumsbranche für die Spediteure, aber gleichzeitig der programmierte Verkehrsinfarkt.
Den totalen Kollaps sollen die Güterverkehrszentren verhindern. Die Idee ist simpel: Außerhalb der großen deutschen Städte werden GVZ mit optimalen Anbindungen an Straße, Schiene und Wasserstraßen errichtet. Der Fernverkehr zwischen diesen Zentren wird zu großen Teilen über die Bahn abgewickelt und in den Zentren auf kleine Lkw verladen, die dann in optimierten Lieferrouten die Güter in die Stadt bringen. Der Clou: Güter werden nicht einfach umgeladen, sondern die Touren werden neu zusammengestellt. Der Transport in die Stadt erfolgt entweder per Lkw oder per Bahn in citynahe „Güterverkehrssubzentren“. Soweit die Theorie.
Für Berlin sind in dieser schönen neuen Welt der Warenverteilung drei Zentren geplant: Auf dem Gelände des geplanten GVZ Großbeeren südlich der Stadt hat die Erschließung durch die brandenburgische „Landesentwicklungsgesellschaft“ (LEG) gerade begonnen. Im Westen ist ein GVZ Wustermark geplant, im Osten entsteht bei Freienbrink ein „Handelslogistikzentrum“. Zusammen sollen sie 10 bis 15 Prozent des Güterverkehrs in der Berliner Region abwickeln. Bundesweit sollen über 20 der Güterzentren entstehen. Das einzige GVZ, das bereits arbeitet, steht in Bremen.
In Großbeeren wird bei der Planung geklotzt: Auf 230 Hektar Fläche, einem Areal wie 150 Fußballplätze, sollen Speditionsgebäude und Lagerhallen entstehen. Herzstück der Anlage wird ein Bahnanschluß mit einem Riesenkran, um den „kombinierten Ladeverkehr“ (KL), das Umladen von der Schiene auf den Lkw, zu ermöglichen. Die LEG schätzt die Kosten für Erschließung und Investitonen auf eine Milliarde Mark.
Laut Gerhard Ostwald, Geschäftsführer des „Verbandes der Spediteure“ und in Personalunion Geschäftsführer der „GVZ- Entwicklungs-Gesellschaft“ (GVZE), besteht ein „Rieseninteresse“, 30 bis 40 Spediteure drängten nach Großbeeren. Die Spediteure zieht es ins Grüne. Nicht nur der Dauerstau in der Stadt vertreibt sie, auch ihre Flächen werden gebraucht: Wo sich vor dem Mauerfall Speditionen breitmachten, entsteht jetzt die neue Mitte Berlins. Außerdem werde das neue Zentrum eine „deutliche Entlastung“ der Straßen vom Güterverkehr bringen, verspricht Ostwald. Er verweist auf ein Gutachten der „Kühne- Stiftung“ (einer Tochter der Großspedition Kühne & Nagel), das ein solches Ergebnis nachweisen soll. Auch der Referatsleiter für Wirtschaftsverkehre beim Verkehrssenator ist sicher, daß die GVZ— Planung eine „deutliche Verringerung“ des Güterverkehrs in der Stadt erreichen wird. Haases Behörde hofft vor allem auf die „Güterverkehrssubzentren“, die in der City mit der Bahn beliefert werden sollen und so den Straßenverkehr verringern helfen sollen.
Doch die Behörde selbst ist mit Prognosen skeptisch. Im gerade vorgestellten „Verkehrsentwicklungsplan für Berlin“ heißt es: „Durch die Randlage der GVZ besteht der Nachteil, daß das Transportgewerbe relativ weite Entfernungen zu den Zielorten in der Innenstadt zurücklegen muß und damit die Verkehrsleistung in der Region steigt.“ Vor allem dem Süden Berlins droht eine dramatische Zunahme des Straßenverkehrs, wenn 1997 Großbeeren seine Arbeit aufnimmt: „Problematisch ist der straßenseitige Anschluß des GVZ“, heißt es im Verkehrsentwicklungsplan: Mittelfristig werde wohl ein Ausbau der B 101 durch Tempelhof und Steglitz und ein direkter Autobahnanschluß an das Kreuz Schöneberg „erforderlich“.
Auch die aufgelisteten acht bis zehn GVZ-Subzentren sind laut Verkehrsentwicklungsplan nur „angedacht“ und „werden untersucht“. Spediteur Ostwald ist beim Thema Subzentren ebenfalls zurückhaltend. „Das ist eine schöne Sache, aber die Vorteile sind für uns momentan nicht absehbar“, meint er. Der Transport per Lkw auch in die Stadt sei eben immer noch wesentlich billiger als perBahn. Auch für das geplante Umladen des Fernverkehrs im GVZ von der Straße auf die Schiene sieht der Spediteur schwarz: „Es gibt bisher kein wirtschaftliches Schienenkonzept. Die Preise der Bahn sind immer noch wesentlich höher als für einen Lkw im Fernverkehr.“ Ändere sich nichts an der Preispolitik der Bahn, würden noch mehr Spediteure auf die Straße abwandern. „Und im Verkehr mit Osteuropa setzen die Spediteure alle auf die Straße.“
Diese Tendenz, daß auch in einem GVZ nicht von der Straße auf die Schiene, sondern nur von Lkw zu Lkw umgeladen wird, wird auch von einer Untersuchung des BUND Niedersachsen untermauert. Bereits 1992 untersuchten die Umweltschützer die Auswirkungen der GVZ-Planungen. Ihr ernüchterndes Ergebnis: Hoher Flächenverbrauch durch versiegelte Flächen, hoher Nutzen für das Speditionsgewerbe, geringer Nutzen für die Umwelt: „Die privaten Speditionsbetriebe finden optimale Arbeitsbedingungen vor, ohne daß durch geeignete Maßnahmen eine Verlagerung des Gütertransports auf die Schiene oder eine Kooperation der Speditionen im Sinne einer Verkehrsvermeidung erzielt wird.“
Die Erfahrungen der Umweltschützer am ersten deutschen GVZ in Bremen bestätigen diese Einschätzung: Zwar fahren 5 Prozent weniger Lkw in die Stadt, doch insgesamt zieht ein großes GVZ zusätzlichen Lkw-Verkehr an. Umladungen von der Straße auf die Schiene machten nur 10 Prozent des Umschlags aus, der Rest ging von Lkw auf Lkw, ermittelte der BUND Bremen: „Das GVZ ist insgesamt eher umweltfeindlich, weil die negativen Umweltaspekte in der Ökobilanz weit überwiegen.“ Bernhard Pötter
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