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Deutsche Finger nah am Drücker

Ansätze einer deutsch-französischen Atomkooperation  ■ Von J. Gottschlich

Den Anfang machte ausgerechnete ein ausgewiesener Anti-Europäer. Am 3. August erklärt der amtierende französische Parlamentspräsident Phillipe Seguin in einem Artikel im Figaro, er verstehe die Empörung der europäischen Nachbarn über die geplanten französischen Atomtests überhaupt nicht, schließlich teste Frankreich die Bombe doch „für Europa“. Insbesondere die Kritik aus Deutschland sei daneben. Die Force de frappe könne auch einmal den „totalen Nuklearschutz“ für den östlichen Nachbarn übernehmen.

Die werbenden Töne aus Paris wurden in der Folge noch konkreter. Erst sprach Premierminister Alain Juppé von einer „konzertierten Abschreckung“, die die französische Bombe übernehmen soll, und vor fünf Tagen machte Präsident Chirac die Offerte quasi offiziell. In einer Rede vor französischen Diplomaten stellte er eine Abkehr von der bisherigen französischen Atomdoktrin in Aussicht und sprach von der Möglichkeit der Europäisierung der Force de frappe.

Alles nur Taktik, um insbesondere der deutschen Politik den Wind aus dem Atomprotestsegel zu nehmen? Friedbert Pflüger, abrüstungspolitischer Sprecher der CDU/CSU, glaubt, daß die Franzosen es ernst meinen. Vor zwei Wochen überzeugte er sich in Paris davon, daß die bekanntgewordenen Äußerungen „keine Einzelmeinungen sind“. „Die Europäisierung der französischen Atomwaffen ist plötzlich ein Thema geworden. Das ist gut und wichtig – das ist in deutschem Interesse.“

Pflüger knüpft mit dieser Haltung an eine Tradition an, die so alt wie die französische Bombe ist. Eine französisch-deutsche Atomachse oder auch eine atomare Bewaffnung der Europäischen Union, alternativ oder in Ergänzung zum amerikanischen Nuklearschirm, war immer mal wieder in der Debatte.

Die Diskussion begann 1960. Am 13. Februar 1960 leuchtete der Blitz der ersten französischen Atombombe über der südlichen Sahara. „Ein Hurra für Frankreich. Heute morgen ist Frankreich stolzer und stärker geworden!“ erklärte ein sichtlich erregter General de Gaulle der Welt und löste damit erhebliche Schockwellen unter seinen Verbündeten aus. Der für den strategischen Machtpoker schon damals sensible Abgeordnete der SPD, Helmut Schmidt, erklärte kurz darauf: „Man sieht in Washington deutlich, daß die Errichtung einer unabhängigen nuklearen französischen Streitmacht mit einiger Gewißheit Deutschland, Italien und möglicherweise weitere Nato-Partner zu ähnlichen Anstrengungen verleiten wird.“ Ein Alptraum für die in Vietnam unter Druck geratenden Amerikaner.

Anzeichen dafür gab es vor allem in Deutschland einige. Schon der 1954 von Adenauer feierlich erklärte Verzicht auf die Produktion von Atomwaffen, chemischen und biologischen Waffen war nicht ganz so freiwillig, wie er offiziell verkauft wurde. Die Erklärung 1954 war vielmehr die Voraussetzung für die Wiedererlangung der staatlichen Souveränität, den Aufbau der Bundeswehr und den Beitritt zur Nato. Doch Verzicht auf eine eigene Atomwaffenproduktion bedeutete für Adenauer, Schröder und Strauß durchaus nicht den endgültigen Verzicht auf die Teilhabe an Atomwaffen.

Wie Strauß später zugab, fuhr die damalige Bonner Regierung bei ihrem Versuch, selbst den Finger an den Bombenabzug zu bekommen, zweigleisig. Zum einen drängte man die USA dazu, ihre Atomwaffen im Rahmen der Nato den Partnern zur Verfügung zu stellen, zum anderen liebäugelte man mit einer eigenständigen französisch-deutschen Atomachse (siehe Kasten).

Auch noch nach dem Abschluß eines Abkommens mit den Amerikanern 1959. Über fünf Jahre hinweg, von 1964 bis 1969, wehrte sich die Bundesregierung zum Beispiel dagegen, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen. In einer Parlamentsdebatte im März 1968 brachte Friedrich Zimmermann stellvertretend für Strauß, die CSU und den rechten Flügel der CDU die Einwände auf den Punkt: „Der Aufbau eines eigenständigen Europas wird behindert, weil ein künftiges Europa keinen Zugang zu der wahren Verteidigungswaffe, der Atombombe, mehr hat.“

Von der Unterzeichnung 1969 bis zur Ratifizierung dauerte es wiederum fünf Jahre. Zur Eröffnung der Ratifizierungsdebatte im August 1973 meldete sich wiederum die CSU am lautstärksten zu Wort. Was die Bundesprominenz dachte, aber nicht laut sagte, formulierte der damalige CSU- Vorsitzende im bayerischen Landtag, Alfred Seidl, im Bayernkurier. „Sollten die Staaten Westeuropas innerhalb einer angemessenen Frist nicht zur Errichtung einer nuklearen europäischen Streitmacht unter Einschluß der Bundeswehr kommen, dann wird jede Bundesregierung gezwungen sein, ihrerseits die Ausrüstung der Bundeswehr mit Kernwaffen in Erwägung zu ziehen.“

Die Fiktion der De-facto-Atommacht

Ein Ergebnis dieser Debatte war, daß die Bundesregierung eine ergänzende Erklärung zur Ratifikationsurkunde beifügte, in der sie erklärte, nur unter der Bedingung dem Vertrag zuzustimmen, daß „keine Bestimmung des Vertrages so ausgelegt werden kann, als behindere sie die weitere Entwicklung der europäischen Einigung, insbesondere die Schaffung einer Europäischen Union mit entsprechenden Kompetenzen“.

Die Kompetenzfrage war klar: europäische Institutionen, beispielsweise ein gemeinsamer Verteidigungsrat unter Einschluß der Bundesrepublik, sollten Verfügungsgewalt über Atomwaffen haben dürfen. Die europäische Option war auch durchaus nicht nur eine Marotte der Union. Alfons Pawelcyk, SPD-Abgeordneter aus Hamburg und dort später Innensenator, sagte ganz offen: „Der Vertrag hält die europäische Option offen, deshalb werden wir dem Vertrag zustimmen“.

Bis es soweit ist, klammert sich die etablierte deutsche Politik seither an die Fiktion der De-facto- Atommacht. Wie sehr, machte eine absurde Debatte am Rande der Abrüstungsverhandlungen um die amerikanischen und sowjetischen Mittelstreckenraketen deutlich. Kohl versuchte 1987 allen Ernstes durchzusetzen, daß die Pershing 1a, die Atomrakete, über die die Deutschen im Zwei-Schlüssel-System mitverfügten, aus den Verhandlungen genauso herausgehalten würden wie die britischen und französischen Atomwaffen.

Eine Position, die den damaligen Außenminister der UdSSR, Eduard Schewardnardse, empört fragen ließ, mit welchem Recht die Bundesrepublik eigentlich über Atomwaffen verfüge? „Befinden sich in der Bewaffnung Deutschlands irgendwelche nuklearen Mittel? Wer verfügt in Wirklichkeit über die atomaren Gefechtsköpfe für die Pershing 1a?“ Erst auf massiven amerikanischen Druck hin willigte Kohl dann schließlich doch in den Abbau der Pershing 1a ein, sehr zum Ärger der CSU und FJS'.

Bleibt also nach wie vor die europäische Option. In Frankreich wird nicht erst in den letzten Wochen wieder davon gesprochen, die Force de frappe auf europäische Beine zu stellen. 1992, auf dem Höhepunkt der innerfranzösischen Debatte um die Zukunft ihrer Atomwaffen, kurz bevor Präsident François Mitterrand dann den Teststopp verkündete, bot er an, die Force de frappe zum Kernstück der künftigen europäischen Atomstreitmacht zu machen. „Atomwaffen“, so der damalige Herr über das größte westeuropäische Arsenal, „werden sehr schnell zur wichtigsten Frage einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik werden.“ Wenn sich der Staub über Moruroa wieder gelegt hat, Greenpeace und die anderen Boote der Friedensflotte längst wieder zu Hause sind, wird das genau das Thema sein: in Bonn, Brüssel, Paris und anderen westlichen Hauptstädten.

Zur deutschen atomaren Bewaffnung siehe u.a. die Dissertation von Matthias Künzel an der Uni Hamburg 1991

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