Durchs Dröhnland
: Unbedarftheit darf das und hat ihren Reiz

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Wie durchs Hintertürchen hat es sich wieder eingeschlichen, ausgerottet schien es, und nun sitzt es fett und breit auf der Couch im Wohnzimmer, frißt den Kühlschrank leer und geht nicht mehr weg – das Gesamtkunstwerk. Den heiligen Mauern der Volksbühne verpflichet, wird auch im Roten Salon nach Brücken zwischen den Kunstformen gesucht. Bevor die aus den Resten der Lolitas entstandenen Berliner Lokalhelden Stereo Total ihre Chansons dahertrashen, wird Sabina Maria van der Linden, eine „ehemalige Prostituierte und Domina“, sechs verschiedene Fassungen ihres vierminütigen Films „Ich bin so blau“ zeigen, für den mit Hilfe von Computertechnik die „meist im S/M-Ambiente angesiedelten“ Bilder der Malerin animiert wurden. Die Versionen wurden von lokalen Musikanten wie Max Müller, Christoph Hahn und Alex Hacke vertont.

Heute, 23 Uhr, Roter Salon der Volksbühne, Rosa-Luxemburg- Platz, Mitte

Selbst in eigentlich dem rauhen „Punk zum Bier“ verpflichteten Underground-Clubs flimmern nun Dia-Projektionen und Videogroßbildschirme, zucken die Lichtspiele. So auch bei Korai Öröm, acht Musikern aus Ungarn, deren Musik schwer zu beschreiben ist. Irgendwie ist es Jazz, irgendwie aber auch Ethno, sehr sehr avantgardistisch auf jeden Fall, mit elektronischen Sounds, aber auch ganz traditionellen Klangkörpern. Dabei entstehen Soundtracks zu Circus-Sequenzen ebenso wie meditative Passagen, die sowohl für Geburtshäuser als auch für Radio-Nachtschienen geeignet wären. Die Fülle ist unbeschreiblich, manchmal zuviel, die Verdaulichkeit aber meist garantiert. Ihre Auftritte beginnen Korai Öröm mit einem Film, nach ihrem mehr als zweistündigen Konzert versprechen sie eine Acid-House-Part „bis zum Morgengrauen“.

Morgen, 23 Uhr, Eimer, Rosenthaler Straße 68, Mitte

Wo Michel Piccoli in „Themroc“ vom Menschen zum Tier wird, weil er die Zivilisation nicht mehr erträgt, schlagen Les Tambours Du Bronx einfach ein auf die Zivilisation. 22 Trommler aus der französischen Stahlstadt Nevers trommeln auf 22 Ölfässern oder Kanalisationsrohren brachial die Endzeit ein. Jene Endzeit, in der wir uns längst befinden. Dies ist nicht romantisch, die Rhythmen ziehen einen kaum in einen monotonen Bann, die Chorgesänge entbehren eines jeden musikalischen Charmes. Auf Platte kaum zu ertragen, live ein archaisches Erlebnis, das auf die Zukunft verweisen möchte. Dies ist stumpf, brachial, den Untergang nicht einmal kommentierend, ihn eher irre vorantreibend.

„Schockierend“, fand der Stern, „geschlagenen Protest“ diagnostizierte die Südwest Presse. Schön für sie, Menschen, die Atonales bereits erfahren haben, suchen zusammen mit den Tambours den Klang des Untergangs, einen Klang, der böser ist als der der Maschinen. Und wenn die übernehmen, wissen wir Menschen wenigstens, daß wir genauso laut sein konnten.

10. 9. 20 Uhr, Huxley's Neue Welt, Hasenheide 108-114, Neukölln

Bei den Legendary Pink Dots sollte man nie den Fehler machen, Depression mit modischer Melancholie zu verwechseln, sonst ist man ruckzuck ein Selbstmordkandidat – jedenfalls wenn man an die gefühlsdeterminierende Wirkung von Musik glaubt. Zwar haben unsere niederländischen Freunde auf ihrer letzten Platte ein paar Kinderliedchen eingestreut, aber das ist bloß ein Trick, um ein paar Unbedarfte zu finden, die bereit sind, gegen diese nur scheinbar so zerbrechlichen Klangwände anzurennen.

10.9., 20.30 Uhr, Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg, und 11.9., 22 Uhr, Lindenpark, Stahnsdorfer Straße 76-78, Potsdam

Pat Johnson hat früher zusammen mit Penelope Houston Musik gemacht, hat Songs für sie geschrieben und mit anderen gespielt, die auf der Suche nach der Rettung des Folk-Rock waren. Inzwischen lebt er nur noch teilweise in San Francisco, hält sich öfter in Berlin und Frankfurt auf, veröffentlicht auf einem deutschen Label und würde den Folk tatsächlich ein wenig mit retten, wenn dieser nicht schon längst gerettet wäre. Nun gibt sich Johnson aber nicht nur mit Monologen zur akustischen Gitarre zufrieden, sondern weitet die Möglichkeiten versiert und vorsichtig in Richtung Blues und Jazz aus. Das ergibt dann Songs, die so unaufdringlich sind, daß man sie kaum überhören kann. Eben großes Songwriting, das nie zuviel will.

13. 9., 21 Uhr, Huxley's Jr.

Schweden können Tennisschläger und Gitarren richtig rum halten, beweisen aufs neue Millencolin, die einen hektischen kleinen Pop-Punk spielen, der ein wenig zum Hardcore und auch mal zum Ska lugt, ohne den Spaßfaktor je aus den Augen zu verlieren. Wer Green Day liebt (bekanntlich nicht wenige), dürfte Millencolin zumindest mögen, auch wenn hier einiges, der Jugend der Akteure geschuldet, noch recht unbehauen und unbedarft klingt. Aber Unbedarftheit darf das und hat ihren Reiz.

14. 9., 21 Uhr, K.O.B., Potsdamer Straße 54, Schöneberg

Den feinen Anzug, den euer Großvater auf seiner eigenen Beerdigung getragen hat, aus dem Schrank geholt und los zu Violeta Mortalez! Das Frankfurter Quintett spielt hübsch nach, was englischer Postpunk in seiner Verzweiflung in den Achtzigern so mit den Gemüten junger Menschen anrichtete. Immer ein verträumtes Quietschen im Hintergrund, als würde Venedig grade untergehen, Texte voller Seelenpein und eine weibliche Stimme aus einem grellrotgeschminkten Mund, die sich immer quält, den einen umständlichen Weg zur Melodie zu suchen. Das hat dann eine wunderschöne, wenn auch absolut unzeitgemäße Stimmung zur Folge, die wahrscheinlich wirklich nur im schwarzen Zwirn angemessen zu genießen ist.

14. 9., 22 Uhr, Duncker, Dunckerstraße 64, Prenzlauer Berg

Die Verbindungen zwischen Oi-Punk und Ska waren schon immer eng, deshalb überrascht es nicht, daß ehemalige Mitglieder der Oi-Legenden Cock Sparrer und The Business vor zwei Jahren mit den Mistakes eine retrospektive Ska-Kapelle aufmachten. Verblüffend ist nur die Tatsache, daß ihr Off-Beat jede punkende Roheit ablehnt und statt dessen eher karibisch daherkommt mit viel Percussion, Geflöte und Gedudel im Hintergrund, sehr relaxt und weich, eher altmodisches Jamaika als Two-Tone.

14. 9., 21 Uhr, Huxley's Jr. Thomas Winkler