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Wenn Bürger die Polizei aufklären

■ Im Kampf gegen illegale Zigarettenhändler setzt die Lichtenberger Polizei vor allem Flugblätter ein. Oft wissen die Bürger besser Bescheid, denn die Anti-Glimmstengel-Gruppe besteht aus nur vier Beamten

„Ich kann nicht verstehen, daß das noch keiner unterbunden hat“, schimpft ein Mann am S-Bahnhof Karlshorst, wo ihm Polizeischüler zwischen Imbißbuden und Kleiderständen ein Infoblatt über die „Folgen des Erwerbs unversteuerter Zigaretten“ in die Hand drücken. Die Hinweise über Verwarnungsgelder interessieren ihn nicht. Er ist Nichtraucher. „Es ist einfach sagenhaft, was da einkassiert wird“, schüttelt er den Kopf. Seit Jahren beobachte er die Zigarettenhändler. „Das sind immer die gleichen“, klärt er die Polizisten auf. „Es ist höchste Zeit, was zu tun“, gibt er den Uniformierten seine Anweisungen. „Das heute ist der erste Ansatz dazu“, entgegnet ihm ein Azubi schüchtern.

Der redselige Mann gehört zu den wenigen Passanten, die sich auf die gestrige Aufklärungskampagne der Polizei einlassen. „Wenn ich zu Kaiser's einkaufen gehe“, fährt der Mann fort, „weiß ich ganz genau, unter welchem Busch Zigaretten liegen.“ Werner Patzke, erster Polizeihauptkommissar des Abschnitts 64 in Lichtenberg, kriegt lange Ohren. „Wieso sagen Sie uns das nicht?“ fragt er. „Was, das wissen Sie nicht?“ traut wiederum der Mann seinen Ohren nicht. „Doch, doch“, schiebt Patzke nach, „aber wir kennen natürlich nicht jeden Busch.“ Der Passant verabschiedet sich: „Ihr müßt mit mehr Härte vorgehen.“

Doch gerade das will Karsten Schlüter, Leiter der Abschnitts 64, nicht tun. Bevor ein Zigarettenhändler aus Angst vor der Kontrolle auf die Straße läuft und vor ein Auto gerät, lasse er ihn lieber entkommen. „Ich will keine Menschenhatzen“, sagt er. Schlüter setzt auf das letzte Glied der Kette: die Käufer. Deshalb versucht er, zusammen mit seinem Stellvertreter Patzke und einer Handvoll Azubis und Flugblättern Aufklärung vor Ort zu betreiben.

Denn wenn keiner mehr die 29 bekannten Handelsplätze in seinem Revier aufsuche, sei das Problem vom Tisch. Doch die Verführung, beim Fluppenkauf ein Schnäppchen zu machen, ist immer noch groß. Und weil er es sich nicht leisten kann, sein gesamtes Personal auf Glimmstengeljagd zu schicken, bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Szene in Bewegung zu halten.

Kein Wunder, daß Anwohner aus der „Zigarettenhochburg“ Lichtenberg oftmals viel besser über Zigarettendepots unter Gullydeckeln oder in Tarnwohnungen informiert sind als die Gesetzeshüter. Denn die vor zwei Jahren gegründete Arbeitsgruppe „Illegaler Zigarettenhandel“ besteht aus nur vier Beamten. Daß deren Gesichter den Händlern längst vertraut sind, weiß auch Schlüter. Deshalb hofft der Polizist, nach den Devisen „Steter Tropfen höhlt den Stein“ und „Erst Prävention, dann Repression“ das Problem in den Griff zu kriegen.

Auf lange Sicht, so Schlüter, könne man das Glimmstengelproblem eh nur lösen, wenn die Straftäter nach Vietnam abgeschoben würden. „Um zu zeigen“, so der Polizeirat, „daß das die Bösen sind.“ Die anderen, wie die vietnamesische Putzfrau auf seinem Revier, seien „Leute wie du und ich“.

Das gestrige „Tagesgeschäft“ wurde den Händlern vermasselt. Doch Schlüter weiß ganz genau, daß trotz der Razzia, bei der acht Vietnamesen gefaßt wurden, und trotz der monatlich bis zu 100.000 beschlagnahmten Zigaretten das engmaschige Netz aus Aufpassern, Geldboten, Lieferanten und raffinierten Depots nur schwer zu durchbrechen ist. Im letzten Jahr wurden von seinem Abschnitt 1,3 Millionen Zigaretten beschlagnahmt und 770 Vietnamesen festgenommen. Die Zahlen aus diesem Jahr belegen seine Angaben über einen „quantitativen Rückgang“. Bisher wurden in diesem Jahr 154 Verkäufer festgenommen und 890.000 Glimmstengel eingezogen, die vom Hauptzollamt vernichtet werden. „Wir sind Deutsche, wir haben die Ordnung erfunden“, belustigt sich Schlüters Stellvertreter Patzke. „Wir müssen die erst zählen, bevor sie verbrannt werden.“ Barbara Bollwahn

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