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Vor der Liebe gibt es kein Entkommen

■ Langhoff inszenierte Horváths „Geschichten aus dem Wienerwald“ im DT

Volksstücke sind auf zauberhafte Art deprimierend. Da träumt eine junge Frau den Traum von der kleinen Freiheit und läßt die Verlobung mit dem Nachbarsjungen wegen eines schicken Herumtreibers platzen. „Ich bin so froh, daß du nicht dumm bist“, sagt sie zu ihm. „Ich bin nämlich von lauter dummen Menschen umgeben.“

Und sie hängt sich an ihn, bekommt ein Kind, wird von ihm wieder abgehängt und als Nackttänzerin in eine Varietégruppe gesteckt; sie läßt sich von den dummen Menschen demütigen und sich schließlich aus der Gosse wieder in ihren kleinbürgerlichen Kreis aufnehmen. Die kleine Freiheit: ein Martyrium, das die Selbstzufriedenheit der Gruppe bestätigte, ihr Preis: der Erlösungstod im Mittelmaß.

Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wienerwald“ ist eine schonungslose und liebevolle Ode an die Dummheit. Marianne und Alfred sind gleichermaßen arme Würmer, Mariannes Vater ist ein „Zauberkönig“, der Puppen und Zinnsoldaten verkauft, die Nachbarin eine lüsterne Trafikantin mit Herz, der Vetter ein kindlicher Nazi-Student aus Kassel, der Nachbarsjunge ein pastoraler Fleischer. „Du entkommst meiner Liebe nicht“, sagte dieser zu Marianne, als sie ihn verläßt. Und am Ende sinkt sie kraftlos in seine Arme.

O du mein Wien, es steht hier alles drin in diesem Stück von 1930: Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise, letzte Reste von K.-u.-k.- Gläubigkeit und erste nationalsozialistische Stampfer, Korruption und frauenfeindliche Doppelmoral, Heurigenseligkeit und über allem: das Trugbild der Liebe. Die Verhältnisse, sie sind halt so.

Horváth, der 1938 im Pariser Exil von einem herabfallenden Ast tödlich getroffen wurde, schilderte die Bewohner der Vorstädte als strampelnde Marionetten, vom Weltenlauf zynisch geführt. Das ist nicht revolutionär, aber wahr – wenigstens ein bißchen.

Schon für die letzte Spielzeit hatte Thomas Langhoff seine Horváth-Inszenierung angekündigt, jetzt endlich war es soweit. Eigentlich hatte er alles. Susanna Simon (Marianne) ist so ein aufrechter Engel, der im Unterkleid an der Waschschüssel eine gute Figur macht, Guntram Brattia (Alfred) ein bübchenhafter Gigolo, Christine Schorn (Trafikantin) der trockene Witz in Person, Walther Schmidinger ein vielleicht allzu konsequent nölig-kauziger „Zauberkönig“.

Ferner gibt es erstklassige Darsteller für Nebenrollen, und alles wurde einleuchtend im Kostüm der Zeit belassen – denn auch wenn vieles noch stimmt, so verlaufen die Grenzen zwischen unten und oben heute letztlich ja anders.

Indes, Regisseur Langhoff glaubt offenbar nicht wirklich an das Böse, auch seiner Liebe entkommt hier nichts. Vieles ist zwar traurig, doch nicht hoffnungslos, der komische Irrsinn des Kleinbürgerglaubens bloß kurios. Ganz realistisch ist diese Inszenierung, der Himmel stets bewölkt, die Hölle eine Familiensache – man macht das Beste draus.

So kreisen am Ende zwar alle auf der Drehbühne, aber sie laufen dabei eben doch. Horváth privat und gedämpft optimistisch. Langhoff hat den Text genommen, aber den Geist vergessen. Alles ist nett gepuzzelt, aber nicht entworfen und dadurch so alt, so alt – und lang.

„Es muß etwas Neues geschehen“ wird auf einem riesigen Plakat vor dem Theater ausgerechnet Brecht zitiert. Doch im Haus glaubt man noch immer an die psychologisch-realistischen Mittel von gestern: an herabsenkbare Pappstädte, an beichtende Mädchen im Lichtkegel, an geballtes Solistentum. Und an ein Publikum, das bedient werden will, beruhigt und in Sicherheit gewogen, in alptraumlosem Theaterschlaf. Petra Kohse

Nächste Vorstellungen am 16./ 17.9., 19.30 Uhr, DT-Kammerspiele, Schumannstraße 13a

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