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Schwäbisch scheint die Sonne

Nach den ersten Klinsmann-Treffern zum 2:0 über den SC Freiburg demonstrieren die Bayern auch noch eklatante politische Korrektheit  ■ Aus München Ulrich Fuchs

Nein, nein, so einfach, wie oftmals behauptet wird, ist die Sache mit dem Fußballsport gar nicht. Der Ball ist rund? Im Münchner Olympiastadion war er es nur 89 Minuten. Da ein Fußballspiel aber bekanntlich 90 Minuten dauert, fragt sich: Was war in jenen letzten 60 Sekunden passiert, die eine der Grundfesten des Gewerbes in Frage stellten?

„Der Ball wurde immer länger“, schilderte Jürgen Klinsmann später durchaus glaubhaft den faszinierenden Moment, der die 62.000 Zuschauer von den Sitzen gerissen hatte. Und gebannt lauschten die Reporter, wie der bislang glücklose Bundesligaheimkehrer in jener gesetzlosen Sekunde des Spiels, obwohl selbst in einer prekären Lage („ich war am Rückwärtslaufen“), zum martialisch klingenden Mittel gegriffen hatte: „Ich hab' versucht, mich hochzuschrauben.“ Was gelang, und wenngleich Klinsmann auch „keinen Druck mehr hinter den Ball brachte“, rettete er doch den Sinn des Spiels: Das immer länger werdende Runde landete im Eckigen, Bayern führte gegen Freiburg 2:0, und Jürgen Klinsmann (31) konnte endlich sein, was alle von ihm erwarten: ein glücklicher schwäbischer Sonnenschein unter bayerischem Zeltdach.

Freiburgs Trainer Finke wollte jener letzten Minute des Spiels, als sein Torwart Schmadtke beim Dribbling an der Außenlinie den Ball verloren und Hamann die Flanke zum spektakulären Klinsmann-Kopfball ins ungehütete Tor der Südbadener geschlagen hatte, im nachhinein keine Bedeutung mehr beimessen. Ihn grämte vielmehr, daß seine Spieler die von ihm ausgegebene Sponti-Devise („Ihr habt keine Chance, nützt sie!“) nicht konsequenter umgesetzt hatten.

Denn zunächst hatte sich die Partie für die zumindest ansatzweise mit alten Tugenden aufwartenden Schwarzwälder Kombinierer nicht schlecht angelassen. Nach einem prima Konter kam Uwe Spies schon in der fünften Minute frei zum Schuß, aber Kahn parierte, was Freiburgs Kapitän auch noch im nachhinein ratlos stimmte: „Ich denke, ich hab soviel nicht falsch gemacht.“

Noch weniger machte aber Jürgen Klinsmann falsch, als er in der 10. Minute eine Helmer-Flanke zum 1:0 über die Linie bugsierte. Weil Spies dann kurz vor Schluß mit einem Außenrist-Schlenzer knapp den Ausgleich verpaßte und Klinsmann kurz darauf wieder alles richtig machte, scheint nach dem fünften Spieltag zumindest die Freiburger Ausgangssituation halbwegs geklärt: „So muß es wohl früher gewesen sein, als ich noch nicht da war: gut gespielt, aber verloren“, deutete Jörg Heinrich die Rückkehr zu alten Mythen an.

Was aber wird aus den Bayern? Wächst hier ein neuer Mythos heran? Ist, nachdem die „Unabsteigbarkeit“ des VfL Bochum nachhaltig widerlegt wurde, das Rehhagel-Team schon „uneinholbar“, wie Werder-Manager Lemke unkte? Droht, wie Uerdingens Coach Friedhelm Funkel prophezeit, zum Saisonende ein bayerischer Vorsprung von 20 bis 30 Punkten? Muß der DFB künftig die Vizemeisterschaft als eigentlichen Titel ausloben und die Bayern quasi außer Konkurrenz siegen lassen?

Fragen über Fragen. Ist das ruhmreiche Team dank seines schwäbischen Sunnyboys künftig gar auch für die Political correctness der Liga zuständig? „Der Sport muß hinten anstehen, solange solche Sachen passieren“, meldete der glückliche Torschütze nämlich auch gleich noch seine Kritik an den französischen Atomtests an und belobigte ausdrücklich die Protestaktion der Schweizer Nationalkicker: „Das finde ich super, daß die Jungs den Mumm gehabt haben, das zu machen.“ Während Freiburgs Kapitän Spies auch auf die hoffnungsvolle Reporterfrage („Stimmt es, daß bei Ihnen in der Mannschaft ein Unterschriftenliste gegen die Atomtests rumgegangen ist?“) nicht mit einer Erfolgsmeldung aufwarten konnte. „Nein, stimmt nicht. Wer sagt das denn?“

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