Das sportliche Gebet

Blues, das ist die Gottesfurcht des starken Mannes: Ben Harper traktiert seine Gitarre wie Jimi Hendrix in der Hölle und singt wie ein Engel  ■ Von Harald Fricke

Das Glas ist halb leer, sagt der Blues, und dann hadert er mit Gott. Der Gospel dagegen freut sich über das halbvolle Glas, das ihm geblieben ist. Und dann gibt es auch noch den Soul des Austrinkens und Späterleidens.

Es ist schwer, sich über solcherlei Eselsbrücken stolpernd mit Ben Harper auf ein Bild aus der Ahnengalerie schwarzer US-amerikanischer Musik zu einigen. Er traktiert seine Gitarre wie Hendrix und predigt dabei im Falsett wie ein Engel. Er singt von seinem Gott, der auf ihn aufpaßt, und davon, daß er gerne kifft. „Burn one down“, das Lied zum Hanf, klingt wie eine schlurfige Country-Ballade, die Gottessuche eher nach Heavy Metal. Harper liebt Muddy Waters, Taj Mahal oder Bob Marley, und kommt doch aus einer Szene, in der das alles im HipHop vermischt wird. Auf dem Cover seiner zweiten Platte „Fight for your Mind“ schmort er mit schmerzverzerrtem Gesicht in den Flammen der Verdammnis, ein anderes Foto zeigt den jungen Mann aus Los Angeles sportlich bekleidet beim Beten in der Kirche.

„Musik ist wie das Wasser und das Land, wenn sie aufeinandertreffen“, erzählt Harper flottweg ins Interview hinein, „und den Blues findest du immer einen Meter vor deinen Augen. Nur nehmen kannst du ihn dir nicht, er muß zu dir kommen. Mit Rap ist es nicht anders, wie Blues ist er ein präzises Gefühl – wenn man's hat, ist es gut; wenn nicht, wird man es auch nicht wie Clapton oder Ry Cooder durch Technik ersetzen können.“ Der 25jährige aus L.A. springt gerne zwischen den Feldern hin und her. Mal redet er davon, daß im modernen Tonstudio nur Fakes produziert werden; mal stürzt er sich selbst hellauf begeistert in die Welt der Marshall-Türme, der Fuzz-, Phaser- und Effektgeräte und schwärmt von den Verzerrungen, die sich da ergeben. Am liebsten aber spielt er auf einer akustischen Gitarre namens Weissenborn, die deutsche Emigranten – Geigenbauer aus Wiesbaden – um die Jahrhundertwende mit in die Staaten gebracht haben: „Wenn da die Rückkoppelung einsetzt, kannst du das Instrument kaum halten, der ganze Schallkörper vibriert, du spürst jede Bewegung. Es ist phantastisch, wie beim Rodeo.“

Mit einigem assoziativen Geschick kann man den Bildern dieses jungen Mannes folgen, der in Blaumann und Holzfällerhemd auf dem Sofa sitzt und energisch auf die Lederbezüge trommelt. Er redet von Liebe, innerer Stärke und so weltlichen Problemen wie Bandentum: „Gewalt ist die größte Schwäche des Menschen, und stark ist nur der, der sie kontrollieren kann.“ All das löst sich unter Gottes Fuchtel in Wohlgefallen auf. Bei „God fearing Man“ heult er wie ein Schloßhund, während die Gitarre mit Feedbackgeräuschen in der Hölle bohrt. Das Bekenntnis endet nach 12 Minuten in einem aus weiter Ferne nachhallenden Verstärker. Keine weiteren Widersprüche mehr, nur ein taubes Rauschen.

Noch wird der Singer/Songwriter wie ein hübsches Randphänomen, als Urban Poet im Zuge von Arrested Development herumgereicht: akkurater Kinnbart, feine Dreadlöckchen, MTV-Gesicht – und dazu blumige, manchmal sehr depressive Moritaten von Mister Kapital und Mutter Natur. Harpers Songs funktionieren wie ein Folkmodell für Homeboys, dem der Blues aus den vierziger und fünfziger Jahren die Fundamente gelegt hat. Mit Woodstock ist dieses Wissen verschwunden: „Meine Vorbilder reichen weiter zurück als der Rock in den Sixties. Ich liebe Delta-Blues der alten Schule, Robert Lockwood, Howlin Wolf. Die Woodstock-Generation hat von ,Love‘ und ,Peace‘ gesprochen, und versteckt sich heute in ihren Einfamilienhäusern. Wie sollen die noch ein Verständnis von Freiheit haben?“

Die Freiheit, die Ben Harper meint, hat nichts mit den quer durch die Bluesgeschichte fahrenden Zügen zu tun, die doch nur nach Nirgendwo gehen. Sie folgt nicht den Spuren vom Missouri nach Chicago, sondern spielt sich gleich um die Ecke in der Nachbarschaft ab. Dort angelt sich auf „Mama's got a Girlfriend now“ die enttäuschte Hausfrau von nebenan eine Freundin und schickt ihren Gatten in die Wüste. Ihr Leben ist weder leer noch gottesfürchtig, der Trinker an ihrer Seite hat es vermasselt.

„Selbst wenn meine Wurzeln in der Vergangenheit liegen, warum sollte ich deshalb alte Geschichten nachbeten? Du schnappst dir wie beim HipHop die Realität. Was von innen kommt, spielt sich ebensogut in der Welt ab und den Dingen, die einem im Alltag begegnen“, meint Harper auf die Frage, wem er eigentlich ins Gewissen singen will. Zunächst denke er beim Komponieren nur an Freunde und die Familie, erst mit dem fertigen Lied darf das Gefühl dann aus der Inwendigkeit seiner privaten Beziehungen hinaus in die Welt treten. Diese Art songgewordene Sorge um die Gemeinde würde ihm natürlich auch jeder Blues- Spieler unterschreiben, der nie über die Sümpfe des Mississippidelta hinausgekommen ist. Doch was immer Großväter der Bewegung wie John Lee Hooker ihm an Werten, Weisheiten und eben Worten voraushaben, Harper hat den HipHop und damit den Modernisierungsschub auf seiner Seite, der ihn selbst noch von Techno schwärmen läßt: „So wie in Detroit durch Techno nicht ein Lebensgefühl, aber der Sound von Tamla Motown ersetzt wurde, so muß sich auch im Blues etwas ändern.“ Ein Song wie „Whipping Boy“ wurde bereits als Dub-Remix auf einem Dance-Sampler neben Massive Attack veröffentlicht. Das Lied handelt davon, daß man sich nicht schlecht behandeln lassen soll – auch nicht aus Liebe.

Ben Harper: Fight for your Mind (Virgin).