: Atommüllmärchen, Hummerschwänze
Im Herbst soll erstmals hochradioaktiver Atommüll aus der WAA La Hague nach Gorleben kommen ■ Aus La Hague Jürgen Voges
Grün sind die Weiden auf den Hügeln vor Cap La Hague, von Hecken umschlossen. In Pastellfarben – Rosa, Bleu und Bräunlich – sind die Gebäudequader der Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) gehalten, mit dreifachem Zaun gesichert: Stacheldraht, Elektrozaun und wieder Stacheldraht. Drei Quadratkilometer voller fensterlosen Hallen mit dezent bunten Stahlblechwänden, die allein 4.000 Tonnen noch aufzuarbeitenden Atommüll beherbergen. Darüber ragen einige Kamine auf, aus denen weder Rauch noch Dampf aufsteigt. Die könnte man sehen, für Radioaktivität hat der Mensch kein Sensorium.
„Nichts kann die eigene Anschauung, die Reise hierher ersetzen“, betont nicht nur einmal Jean- Louis Ricaud, Vizepräsident der Compagnie Générale des Matières Nucléaires (Cogéma) und Chef der WAA in La Hague. Der etwas gedrungene Mittfünfziger, mit vorn lichten Haar und Goldrandbrille, nimmt sich viel Zeit für die Journalisten aus Niedersachsen. Absolvent einer französischen Eliteschule sei er, betonen die Herren von der Gesellschaft für Nuklear- Service (GNS), die zusammen mit der Gorlebener Brennelementlager die Niedersächsische Landespressekonferenz zum Flug an die Atlantikküste eingeladen hat. Schließlich wird im normannischen La Hague gegenwärtig der erste Rücktransport von hochradioaktiven Atommüll ins Zwischenlager Gorleben vorbereitet.
Drinnen ist die gesamten Kleidung gegen Cogéma-Weiß zu tauschen. In der UP 3-WAA (Usine Plutonium 3), in der fast ausschließlich bundesdeutscher und japanischer Atommüll in Säure aufgelöst und in seine Bestandteile getrennt wird, gibt es die Menschenwelt und die Atommüllwelt. Zur Menschenwelt gehören die futuristischen Steuerräume, in denen die Wiederaufarbeiter umringt von Monitoren und Terminals ihre Schicht ableisten. Zu ihr gehört auch ein Gewirr von langen Gängen und Treppenhäusern: Hellgelbe Wände in der äußeren, der Überdruckzone, grüne in der ersten Unterdruckzone. Blau gestrichen ist der innere Bereich mit noch mehr Unterdruck. Dieses Drucksystem soll die Umgebung auf billige Weise vor Verstrahlung schützen. Ansonsten sind die Hallen der Plutoniumfabrik in Leichtbauweise erstellt. Flugzeugabstürze überstünden sie nicht.
Hinter der blauen Zone beginnt die den Menschen unzugängliche Atommüllwelt mit ihren großen unterirdischen Kanälen für den Transport der Brennelemente und mit ihren Rohrleitungen und Tanks für den in Salpetersäure aufgelösten Atommüll. Nur durch ein Fenster aus mehr als meterdickem Bleiglas kann man einen Blick in eine der heißen Zellen werfen. Im fahlgelben Licht taucht ein abgebranntes Brennelement auf, das per Kran aus einem japanischen Transportbehälter gehoben wird. Links und rechts des Fensters die Griffe der Manipulatoren, über deren Arme allein die Arbeiter noch in das Innere eingreifen können – in einem Störfall, wenn die Maschinen versagen.
Herr Ricaud möchte allerdings nicht von Störfällen sprechen. Für den Atommanager gibt es nur meldepflichtige Ereignisse. Die aber seien in La Hague „alle der ungefährlichen Kategorie Null“ zuzuordnen. „Der größte anzunehmende Unfall ist hier ein totaler Stromausfall“, versichert er. Und den habe man mit einer Vorgängeranlage schon überstanden.
Hinter einen anderen Bleiglasfenster wird der Atommüll zusammengemixt, der jetzt erstmals in Gorleben eingelagert werden soll. Einen vier Meter langen, sich langsam drehenden Stahlzylinder umgibt ein Kreuz-und-quer von verchromten Leitungen. Teils führen sie die hochradioaktiven Flüssigkeiten zu, die neben Uran und Plutonium auch immer Produkt der Wiederaufarbeitung sind. Teils führen die Leitungen die Gase ab, die in dem 1.050 Grad heißen „Calcinator“, entstehen. In dem Zylinder wird der Atommüll mit Borsilikatglas vermischt. Die Glasschmelze wird in beinahe mannshohe Stahlgefäße gefüllt und anschließend verschweißt. Das sind dann die „Glaskokillen“, die künftig in Gorleben gelagert werden sollen.
Wieviel Plutonium die bisher 3.500 Glaskokillen von La Hague jeweils enthalten, kann man nur berechnen, nicht mehr durch ihren zwanzig Zentimeter dicken Stahl messen. Um das Innere der fertigen Kokillen zu untersuchen, müßte man sie zerstören. „Alles, was wir der Glasschmelze zugeben, wird ständig automatisch analysiert und genau dosiert“, erklärt uns später WAA-Chef Jean Louis Ricaud. Daß eine jener 28 Kokillen, die im Frühjahr mit dem allerersten Rücktranport nach Japan gingen, außen radioaktiv verseucht war, kann Ricaud nur mit einem Meßfehler erklären: „Die Japaner müssen noch lernen, ihre Meßinstrumenten zu eichen.“
Der Atommüll-Container mit dem im Herbst die ersten 28 bundesdeutschen Kokillen – von geplanten 2.800 – nach Gorleben gefahren werden sollen, steht draußem vor der UP 3. Er sieht aus wie die bekannten Castor-Behälter, nur diesmal aus glänzendem Edelstahl. In Frankreich gebaut, trägt er den wenig sinnlichen Namen TS 28 V. Beladen werden soll der TS 28 V in einer wohl 20 Meter hohen Halle. Durch das Bleiglas des Steuerstandes ist der Industrieroboter zu bewundern, dessen Arm die Kokillen mit einem Wattebäuschchen abwischt für die Strahlungsprüfung.
Dieser TS-28-V-O01 – it's your Castor – hat eine Beladeprobe, eine „Kalthandhabung“, bereits hinter sich. Bis auf einen kleinen Punkt sei sie erfolgreich verlaufen, versichert Herr Ricaud. Im niedersächsischen Umweltministerium, das den Probelauf beaufsichtigte, sieht man das anders: Eine Plastikabschirmung am Deckel habe nicht gepaßt. An den Dichtungen sei der Behälter verschmutzt gewesen. Und die Unterlagen, die die Inhalte der Kokillen ausweisen, lagen nicht in der vorgeschriebenen englischen Übersetzung vor. Jetzt ist der Transport erst einmal um mindestens vier Wochen verschoben. Aber es eilt ja auch nicht. Herr Ricaud hat mit seinen Lagerkapazitäten in den riesigen Hallen keine Probleme. „Wir müssen den Behälter nicht Ende dieses Monats nach Deutschland zurückschicken. Wir gehen ganz langsam, Schritt für Schritt, vor.“
Die Journalistengruppe aus Niedersachsen hat in 24 Stunden Normandie viel zu verdauen: Erst die Besichtigung der Cogéma-Verladestation, wo südlich von Cherbour pro Jahr 350 Castor-Behälter von der Bahn auf Lkw umgeladen werden. Dann einen ersten Imbiß, den ersten zweistündigen Vortrag, anschließend Austern, Schnecken, Hummer, Fisch, Frühstück, zweiter Vortrag, drei Cogéma-Werbefilme, die WAA-Besichtigung, wieder Hummer, noch mal Fisch, eine Pressekonferenz und nicht zuletzt Champagner, Wein und die Spezialität der Normandie, den Calvados. Die beiden Vorträge hat sich Herr Ricaud selbst vorbehalten. Was Wiederaufarbeitung wirklich ist, kann nur ein Vizepräsident erklären: Auf der Leinwand erscheint ein Arbeiter im Blaumann, der Autoteile recycelt, das nächste Bild zeigt bunte Tonnen für die getrennte Sammlung von Hausmüll, dann kommt ein Bild aus La Hague. Wiederaufarbeitung ist nämlich das Recycling von wertvollen Rohstoffen, und das schreibt, wie der Vizepräsident betont, sogar eine Richtlinie der EU vor.
Das in den abgebrannten Brennelementen enthaltene Uran und Plutonium könne man inzwischen zu über 99 Prozent zurückgewinnen und dann daraus neue Mischoxid (MOX)-brennelemente fertigen. Bei der Wiederaufarbeitung von einer Tonnen Schwermetall blieben nur 1,2 Kubikmeter Atommüll zurück. Bei der direkten Endlagerung der gleichen Menge entstünden dagegen 1,5 Kubikmeter Abfall.
Da lügt Herr Herr Ricaud, oder sagen wir, er schönt mehr, als es auch einem Cogéma-Vizepräsidenten erlaubt ist. Selbst der GNS- Geschäftführer Klaus Janberg hat inzwischen jedem fragenden Journalisten klargemacht, daß die bundesdeutschen EVU mit dem recycelten WAA-Uran gar nichts anfangen können.
Das Material gehört zwar den EVU als Anlieferern der Brennelemente, soll jedoch am besten den „Franzosen überlassen“ werdenm, meint Janberg. Die Fertigung neuer Brennelemente aus dem WAA-Produkt lohnt nicht, es enthält zu viele Störnuklide. Seine Verarbeitung würde teure Schutzmaßnahmen bei der Herstellung neuer Brennelemente erfordern. „Gegenüber Natururan ist das Uran aus der Wiederaufarbeitung leider nicht konkurrenzfähig“, stellt der GNS-Geschäftführer lapidar fest.
Daß nur 1,2 Kubikmeter Atommüll pro wiederaufgearbeiteter Tonne Brennstäbe entstehen, darauf insistiert Herr Ricaud hartnäckig. Das Bundesamt für Strahlenschutz in Salzgitter rechnet dagegen ganz offiziell mit 13 Kubikmeter atomaren WAA-Müll pro Tonne. Aus der vertraglich vereinbarten Aufarbeitung von rund 5.500 Tonnen Brennelementinhalt, hat die Bundesrepublik nach den amtlichen Berechnungen gut 75.000 Kubikmeter WAA-Abfälle zurückzunehmen. Das wertlose Uran noch nicht mitgerechnet.
Ein Grund für die schöne Kalkulation Ricauds mag sein, daß Atommüll, der in Deutschland in das Atommüllendlager Schacht- Konrad kommen soll, bei der Cogéma auf großen Halden gleich neben der Anlage unter schwarzen Folien und Erde verbuddelt wird. Jean-Louis Ricaud würde niemals zugeben, daß er Chef einer Atommüllvervielfachungsanlage ist.
Noch einmal Dank für „das Hotel, die Bewirtung, die offenherzigen Anworten auf alle Fragen“ – der Ehrenpräsident der niedersächischen Landespressekonferenz ist zum dritten Mal hier und von Herrn Ricaud richtig angetan, für ihn „gehören Calvados und Cogéma einfach schon zusammen“.
Auf den Verkehrsschildern in der Umgebung kleben gelbe Radioaktivitätszeichen. Im Frühjahr wurde die Verladestaion der Cogéma von AKW-Gegnern besetzt. Ricaud ficht das nicht an: „Wir haben inzwischen ein Klima des Vertrauens zur Bevölkerung aufgebaut, vor allem durch Besuche von Journalisten in der Anlage.“ Wenn dem so ist, haben viele Hummer dafür ihr Leben gelassen.
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