: "Schneewittchen" hat viele Freunde
■ Der ehemalige Devisenbeschaffer der DDR, Schalck-Golodkowski (Deckname: "Schneewittchen"), steht heute erstmals vor Gericht - und genießt höchste Protektion. Eine Verurteilung ist mehr als unsicher
Berlin (taz) – Die nicht so ganz legalen Geschäfte des Westberliner Waffenhändlers Edgar Kutscheidt liefen prächtig. Rund 2.000 Waffen zum Preis von rund 3,3 Millionen Mark hatte der Inhaber des „Jagd-Sport-Ladens“ im Stadtbezirk Schöneberg in den achtziger Jahren illegal im Osten absetzen können – das Schnäppchen aber waren die 246 Nachtsichtgeräte, die der Spender und Förderer des „Jagdclubs Diana Berlin 1896 e.V.“ zwischen November 1987 und Oktober 1989 seinem geheimnisvollen Auftraggeber auf der anderen Seite der Mauer beschaffen konnte. Der Militärkram schlug mit mehr als neun Millionen Mark auf dem Konto zu Buche.
Doch dann fiel im Herbst 1989 die Mauer. Im Juni 1993 folgte Untersuchungshaft, zwölf Monate, später das Urteil: drei Jahre Haft – wegen Waffenschmuggels und Steuerhinterziehung.
Heute steht nun Kutscheidts früherer Geschäftspartner ebenfalls wegen Waffenschmuggels vor Gericht – eine der schillerndsten Personen, die der dahingegangene erste deutsche Arbeiter-und-Bauern-Staat zu bieten hatte. Es ist Alexander Schalck-Golodkowski, einst oberster Devisenbeschaffer der DDR, der für den Staatsratsvorsitzenden Honecker mal Bananen, mal Dollar und für den Stasichef Mielke westdeutsche Regierungsinterna und modernste Spionagetechnik beschaffte. 15 Verhandlungstage hat die 5. Große Strafkammer beim Berliner Landgericht anberaumt. Aber anders als Kutscheidt dürfte Schalck das Gerichtsverfahren kaum fürchten. Denn er hat vor allem eines: Protektion.
Die Rolle Schalcks ist heute noch so geheimnisvoll wie das Schicksal zahlreicher seiner Firmen, die in einem „Bereich Kommerzielle Koordinierung“ (Koko) zusammengefaßt waren. Schalck, am 3. Juli 1932 als Sohn eines Kraftfahrers in Berlin geboren, leitete als „Offizier im besonderen Einsatz“ im Auftrag der Staatssicherheit über Jahrzehnte ein weitverzweigtes Netz getarnter Auslandsunternehmen. Hunderte Millionen Mark erwirtschaftete der SED-Goldfinger alljährlich im kapitalistischen Westen, die den devisenschwachen Haushalt der DDR stützen halfen.
Aus seinen Gewinnen wurden auch die kommunistischen Parteien Westeuropas mit zweiteiligen Millionenbeträgen bedacht. Dank Koko konnte der Chef-Devisenbeschaffer vor allem aber die gegen den Ostblock verhängten Embargobestimmungen unterlaufen. Eines der düstersten Kapitel im Geschäftsgebaren des Ost- West-Unterhändlers: Mit dem Segen der Parteiführung betrieb Schalck international einen florierenden Waffenhandel. In den achtziger Jahren etwa, im iranisch-irakischen Krieg, belieferten seine Firmen beide Kriegsparteien zu gleicher Zeit mit Kriegsgerät und Munition.
Ein Höhepunkt im Leben des Tschekisten Schalck war zweifellos, als es ihm 1983 gemeinsam mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß gelang, einen Milliardenkredit bundesdeutscher Banken für die devisenarme DDR einzufädeln. Der Name Schalck machte in Bonn die Runde, nach und nach avancierte er zu einem der gefragtesten Gesprächsparnter für Bonner Regierungsmitglieder. So hat der Mann noch manches gut in Bonn – und als er in der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember 1989 der DDR mit ihren Wendewirren fluchtartig den Rücken kehrte, da konnte er sich einer wohlwollenden Behandlung im Westen sicher sein.
Der Bundesnachrichtendienst nahm sich seiner an. Er versprach dem Mann Diskretion und verpaßte ihm außer dem Decknamen „Schneewittchen“ auch zeitweise neue Ausweispapiere. Alte Geschäftspartner brachten Schalck, der ihnen zu einigem Geld verholfen hatte, standesgemäß in einer Villa am Tegernsee unter. So war es kein Wunder, daß ein Untersuchungsausschuß in Bonn außer zehn Kilogramm Berichtspapieren vor allem ein Menge offener Fragen produzierte. Setzt sich in Berlin die Staatsanwaltschaft durch, wird mit dem heute beginnenden Verfahren nur der Anfang gemacht. Vier weitere Anklagen hat sie gegen Schalck erhoben und eine sechste angekündigt. Ob der Mann verurteilt wird, ist aber mehr als unsicher. Wolfgang Gast
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