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Die Jagd nach dem Penny für die schwarzen Babys

■ Irlands SchülerInnen sind Weltmeister im Sammeln für den guten Zweck

Vor „Eason's“, dem Buchladen in Dublins O'Connell Street, gibt es kein Entrinnen mehr: Links stehen vier Mädchen, die für die Dritte- Welt-Organisation „Trocaire“ sammeln, rechts warten zwei Jungen von der Krebsfürsorge mit Sammelbüchsen. Und auf der anderen Straßenseite verkaufen etwa zehn Jugendliche seidene Vergißmeinnichts im Auftrag des Nierentransplantationsfonds.

Bei einem Gang durch die Dubliner Innenstadt entsteht der Eindruck, daß die Hälfte der minderjährigen Bevölkerung mit Sammelbüchsen unterwegs ist. Und es gibt kein Entkommen – erst wenn man sich vom Kleingeld getrennt hat, ist man erlöst. Die SammlerInnen heften dem Spender ein Plakette ans Revers: ein Passierschein für den unbehelligten Aufenthalt im Sammelgebiet.

Ich entscheide mich für „Trocaire“. Jennifer ist 15 und geht auf eine katholische Oberschule im Süden der irischen Hauptstadt. In ihrer altmodischen, weinroten Schuluniform mit grauer Krawatte sieht sie älter aus, als sie ist. „Wir haben im Geschichtsunterricht im vergangenen Schuljahr die irische Hungersnot durchgenommen“, erzählt sie. „Zwischen 1845 und 1849 sind eine Million Menschen verhungert und eine weitere Million ausgewandert. Deshalb sammle ich für afrikanische Länder, wo heute die Menschen hungern müssen.“ Ihre gleichaltrige Freundin Fiona pflichtet ihr bei: „Wir haben Glück gehabt, daß wir in Irland geboren sind. Da können wir ruhig denen ein bißchen abgeben, die weniger Glück hatten.“

Fromme Habgier im Dienst der guten Sache

Wenn es um Spenden geht, liegt Irland, pro Kopf der Bevölkerung gerechnet, weltweit an der Spitze. „Das liegt möglicherweise daran, daß im Religionsunterricht viel von sozialer Verantwortung die Rede ist“, meint die Lehrerin Breda Keightley. „Früher mußten wir jeden Montag einen Penny in die Schule bringen – für die schwarzen Babys, hieß es. Und auch ein Teil des Geldes, das man zur Konfirmation geschenkt bekam, gab man dafür ab.“

Ihre 17jährige Tochter Anne arbeitet in einem Projekt, das Kindern einkommensschwacher Familien Sommerferien auf dem Land ermöglicht. „Ich habe zehn Wochen Sommerferien“, sagt sie, „da kann ich doch drei Wochen opfern und mit den Kindern ins Zeltlager fahren.“ Druck in dieser Richtung habe niemand auf sie ausgeübt, auch nicht die katholische Kirche mit ihren vielen Wohlfahrtsorganisationen, die dem Staat im Bereich der sozialen Gemeindedienste einen Teil der Verantwortung abnehmen. Kirchliche Organisationen sorgen für Alte, Kranke, Behinderte, Obdachlose, Waisenkinder und viele andere.

Da es in Irland keine Kirchensteuer gibt, ist man auf Spenden angewiesen. Die fromme Habgier im Dienst der guten Sache macht selbst vor den Kleinsten nicht halt. Zu Beginn der Fastenzeit erhalten Schulkinder ein Stück Pappe, das sie zu einer Sparbüchse zusammenfalten müssen. Da kommt dann das Taschengeld hinein, das sie normalerweise für Süßigkeiten ausgeben.

Umgekehrt legen die Kids eine verblüffende Phantasie an den Tag, wenn es darum geht, Erwachsenen das Geld für einen mildtätigen Zweck aus der Tasche zu ziehen. So lassen sie sich zum Beispiel für ein „Readathon“ unterstützen: Die Sponsoren müssen über einen bestimmten Zeitraum für jedes gelesene Buch ein Pfund berappen. Es gibt zahllose Variationen: „Swimathons“, „Walkathons“ usw.

Abends im „Cross Guns Inn“, einer Kneipe im Nord-Dubliner Stadtteil Phibsborough. Vier Mädchen stürmen in das Lokal. Sie sind höchstens 16 und hätten laut Gesetz gar keinen Zutritt zum Pub. Nach einem kurzen Blick zur Theke – Mick O'Mahony, der Wirt, nickt wohlwollend – schwärmen sie aus und klappern nachdrücklich mit den Sammelbüchsen aus Plastik. Das Schild an der Seite verrät, wem die Spende zugute kommt: „Trocaire.“ Ich verweise auf den Aufkleber am Revers und komme diesmal ungeschoren davon. Ralf Sotscheck, Dublin

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