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Angeklagte bestreiten ihre Schuld

■ In Wien wurde der erste Briefbombenprozeß eröffnet

Wien (dpa/AFP/taz) – Unter großen Sicherheitsvorkehrungen und regem Medienandrang hat gestern in Wien der Prozeß um die erste österreichische Briefbomben- Serie vom Dezember 1993 begonnen. Die beiden Angeklagten Peter Binder und Franz Radl erklärten sich für teilweise schuldig. Ihre Verteidiger sagten, ihre Mandanten räumten ihre Schuld im Sinne der verbotenen „nationalsozialistischen Wiederbetätigung“ ein. Jede Verwicklung in die Herstellung und Verschickung der zehn Briefbomben wiesen sie jedoch zurück.

Bei den Anschlägen waren vier Menschen, darunter der damalige Wiener Bürgermeister Helmut Zilk, zum Teil schwer verletzt worden.

Staatsanwalt Sepp-Dieter Fasching hatte die beiden 28 Jahre alten Männer des zehnfachen Mordversuches angeklagt. Beide sollen der einst gefährlichsten österreichischen Neonazi-Gruppe „Volkstreue Außerparlamentarische Opposition“ (VAPO) angehört haben, deren Kopf Gottfried Küssel bereits zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war.

Während Binder die Bomben gebaut und verschickt habe, sei Radl als „Anstifter und Bestimmungstäter“ zu betrachten, erklärte der Ankläger. Sollten die Geschworenen zu einem Schuldspruch kommen, droht den Männern eine lebenslange Haftstrafe.

Zu den Briefbombenattentaten hatte sich in mehreren Bekennerschreiben eine „Bajuwarische Befreiungsarmee“ (BBA) bekannt. In diesen Schreiben werden Radl und Binder als unschuldig bezeichnet. „Wir vermuten, daß die inhaftierten Verdächtigen Radl und Binder nicht einmal von der Existenz einer BBA wissen; um so weniger haben sie irgend jemanden angestiftet oder gar das Kampfprojekt selbst durchgezogen“, heißt es in einem von der Zeitschrift Profil in Auszügen veröffentlichten Brief der BBA.

Die Verteidiger sprachen von einer „notdürftigen Indizienkette“, die sie im Prozeß erschüttern würden. Sie betonen, es gebe keine Beweise für einen Zusammenhang zwischen der VAPO und der Attentatsserie. Die Anwälte der Hauptangeklagten machen geltend, auch nach deren Festnahme habe es im Oktober 1994 und im Juni 1995 Anschläge gleicher Machart in Deutschland und Österreich gegeben. Zu den Adressaten dieser mit Sprengstoff präparierten Briefe gehörte auch die Fernsehmoderatorin Arabella Kiesbauer.

Bei ihren Angaben beruft sich die Verteidigung auf ein drei Tage vor Prozeßbeginn veröffentlichtes Gutachten von Sprengstoffspezialisten des Wiener Amtes für Wehrtechnik. Danach sind die Bauteile der Bomben der ersten Serie mit jenen der zweiten Serie vom Oktober 1994 identisch – als Radl und Binder längst im Gefängnis saßen.

Bei dem für zunächst 15 Verhandlungstage angesetzten Verfahren sollen 133 Zeugen – auch aus der deutschen rechtsextremistischen Szene – vernommen werden. Der Prozeß wird heute fortgesetzt.

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