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Chirac bedauert nichts und warnt alle

Frankreichs Präsident beschimpft die atomtestfeindlichen Regierungen Australiens und Neuseelands. Umsetzung des Schengener Abkommen durch Frankreich in weite Ferne gerückt  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Er sei „ruhig, besorgt und entschlossen“, versicherte Frankreichs Präsident Jacques Chirac seinen Landsleuten am Sonntag abend in einem live übertragenen Interview. Beinahe eine Stunde lang parlierte er über die Attentatswelle, die Frankreich seit Ende Juli erschüttert, über die Atomtests, mit denen das Land seinerseits die Welt erschüttert und über die ansonsten magere Bilanz seiner viermonatigen Amtszeit, für die Chirac in seinem Wahlkampf vor allem soziale und wirtschaftliche Verbesserungen versprochen hatte. Für das Gespräch hatte er die Journalistin Anne Sinclair zu sich in den Festsaal des Elyseepalastes geladen.

Die sechs Bombenanschläge der letzten Wochen, bei denen sieben Menschen ums Leben kamen und 140 verletzt wurden, stellte Chirac in den Zusammenhang der „Entwicklung des islamischen Integrismus“ und der Situation in Algerien. Die Attentäter, deren Herkunft er „wahrscheinlich im französischen Milieu“ vermutet, nannte er „wilde Tiere“. Er versprach eine weitere Verstärkung der Polizeikräfte und gab zugleich ein gewisses „Durcheinander“ bei den bisherigen Ermittlungen zu. Die Arbeit der Fahnder, wozu zahlreiche unterschiedlichen Behörden unterstellte Polizeigruppen und mehrere Geheimdienste gehören, werde er sehr aufmerksam verfolgen und anschließend eventuell notwendige Konsequenzen ziehen, versicherte der Präsident.

Ebenfalls im Zusammenhang der Attentate erklärte Chirac, daß er die Bestimmungen des Schengener Abkommens nicht in die Tat umsetzen werde. Er sei zwar für das europäische Abkommen zur Öffnung der Binnengrenzen, doch in erster Linie sei er für die Sicherheit seines Landes verantwortlich und müsse daher die Grenzkontrollen verstärken – offene Grenzen seien eine „phantastische Gelegenheit für Terroristen und Drogen“.

Im Morgengrauen nach dem Interview schlugen die Fahnder der „Vigipirate“ getauften Operationen gegen die Terroranschläge erneut zu. Im Großraum Paris nahmen sie rund 40 Personen wegen gefälschter Papiere, Waffenbesitz und illegalen Propagandamaterials fest. In Grenoble durchsuchten sie mehrere Arbeiterwohnheime, angeblich soll dort kürzlich der 24jährige Khaled Kelkal übernachtet haben, dessen Fingerabdrücke auf einer von der Polizei entschärften Bombe gefunden worden waren. Das Foto des gebürtigen Algeriers, der zuletzt in Lyon gewohnt hat, war in der vergangenen Woche landesweit veröffentlicht worden.

Mit keinem Wort erwähnte der Präsident die massive Kritik der europäischen Nachbarländer an den französischen Atomtests. Statt dessen drosch Chirac ausgiebig auf die Regierungen Australiens und Neuseelands ein. Ihnen unterstellte er, sie wollten die Atomtests nur verhindern, um „Frankreich aus dem Südpazifik zu verdrängen“. Unverblühmt drohte er beiden Ländern Handelssanktionen an.

Die empörten Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Neuseelands konservativer Regierungschef Jim Bolger erklärte, seine Regierung habe das Thema der Entkolonialisierung des Südpazifik überhaupt noch nie diskutiert und erinnerte an die gute Zusammenarbeit seines Landes mit Frankreich. Auch sein sozialdemokratischer australischer Kollege, Paul Keating, warnte vor französischen Handelssanktionen und erinnerte an die jährlichen Überweisungen seiner Regierung an das Pazifikforum.

Chirac hatte im Fernsehinterview schon seine Antwort auf diese Kritik vorweggenommen. Die Proteste aus Australien und Neuseeland interessierten ihn genauso wenig wie die Meinungsumfragen, die seine sinkende Popularität anzeigten. Er sei dafür zuständig, daß Frankreich wachsam bleibe und sich auch im nächsten Jahrtausend noch verteidigen könne. Basta.

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