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Alles ist eitel

■ „Veillées d'armes“, Marcel Ophuls' Mammut-Dokumentation über Sarajevo, läuft heute einmalig im Kino 46

So ein Krieg ist anstrengend. Nach ein paar Wochen Sarajevo braucht Marcel Ophuls, ein Regisseur „im besten Alter“, einfach Entspannung. Die wird stilecht in einem besseren Wiener Hotelzimmer zelebriert: Ophuls, vom Druck der Abstinenz befreit, rasiert sich ganz gelöst im Bildvordergrund, auf dem Bett räkelt sich eine dunkelhaarige Hure, das Sektglas in der Hand. Selbstverarschung nennt Ophuls das und Provokation der political correctness. Man kann auch schlicht Eitelkeit dazu sagen.

„Veillées d'armes – Histoire du journalisme en temps de guerre“/ Abende vor der Schlacht – Geschichte des Journalismus zu Kriegszeiten. 226 Minuten lang versucht Ophuls, in einem komplex geschachtelten Dokumentarfilm Belege für eine Hypothese zu finden, die er dem Buch eines englischen Historikers entnommen hat: Die Wahrheit ist immer das erste Kriegsopfer. Wie kann der Dokumentarist das zeigen? Gut für Ophuls, daß ihm – sein Name und der seines Vaters Max zeigen Wirkung – ziemlich viele Türen offenstehen. Dabei spielt die zerbombte Szenerie Sarajevos in Ophuls Dokumentation die kleinere Rolle; die Szenen, wo Kameraleute für ein gutes Bild ihr Leben riskieren, stammen aus dem Archiv. Ihm geht es um die Art und Weise, wie darüber berichtet wird – und warum.

Dazu befragt er eine Liste von Leuten, die ebenso lang ist wie berühmt oder berüchtigt. Gemeint sind Einzelgespräche. Ophuls sitzt im Zwiegespräch mit Slobodan Milosevic, dem geistigen Anstifter des Krieges, mit Karadzic, mit Staatsministerin Simone Veil oder Christine Ockrent, der Chefredakteurin und Anchorwoman beim französischen Sender France 3.

Wie unterscheiden sich die englische und britische Kriegsberichterstattung, will Ophuls wissen. Da braucht er nur im Holiday Inn-Hotel in Sarajevo, das jetzt als Pressezentrum dient, herumzufragen. Die Franzosen sind die Besseren, weil sie ihre Berichten mehr auf den human touch zuschneiden und näher an den Emotionen sind, sagen die Franzosen, während eingeflogene Gänseleber und Champagner sie daran erinnern, vollwertige Franzosen zu sein. Wir sind die Besseren, weil wir mehr Distanz wahren und den Tränen nicht auf die Pelle rücken, sagen die Engländer, und wenn doch, dann erklären wir die Tränen. Dann gibt es die Freelancer, die auf eigene Faust nach Sarajevo kommen und sich über den Sicherheitswahn der TV-Teams belustigen: Erst schußsichere Westen und Splitterfänger, dann gepanzerte Wagen, schließlich Geleitschutz, während die Einwohner der Stadt ohne das alles auskommen müssen.

„Die Suche nach der Wahrheit ist ein schmerzhafter Weg, den man mit Ablenkungen aufheitern muß“, sagt Marcel Ophuls. Wie schmerzhaft dieser Weg ist, steht etwa John F. Burns, dem Korrespondenten der New York Times und Pulitzer-Preisträger, im Gesicht geschrieben: die Absurdität, daß ein Psychiater und erfolgloser Gelegenheitsdichter wie Karadzic sowie ein Shakespeare-Kenner und bei der Beförderung übergangener Professor wie Milosevic sich auf diese Weise für entgangene Erfolge rächen! Und dann gibt es die Medienstars, die eitlen Moderatoren, die lieber ihre Kamerateams und Reporter in Gefahr schicken; in den Nachrichten können sie dann selbst als Helden glänzen.

Ophuls handelt alle Aspekte der Berichterstattung ab, läßt die Fotografen zu Wort kommen, die lokale Presse, die unter abenteuerlichen Bedingungen produziert, das Militär, die UN-Verantwortlichen, französische, britische Intellektuelle.

Ophuls' Fragetechnik ist so effizient wie spekulativ. Er legt seinen Gesprächspartnern gerne in den Mund, was er hören will – besser: was er glaubt, daß sie sagen wollen. Dauert es mit der Antwort zu lange oder gibt es Sprachprobleme, hilft er nach. Und taucht immer wieder im Bild auf, den Fellini-Hut auf dem Kopf, „den alle Größenwahnsinnigen tragen“ (Ophuls); Schnitt auf Fellinis „8 1/2“, Mastroianni mit Hut in der Badewanne.

Hut ab vor den 226 Filmminuten, die von allem möglichen sprechen, abschweifen – von den Habsburgern bis zum Karneval in Venedig – zurückfinden zum Thema, die schöne Erkenntnisblitze im Betrachter auslösen und Aha-Erlebnisse. Aber nicht minder Befremdlichkeit über das, was wohl die „Ablenkungen“ sein sollen. Alles hängt scheinbar mit allem zusammen, auch wenn es sich spiegelbildlich wie Himmel und Hölle verhält. Doch den Schauspieler, dem eine Granate beide Beine weggerissen hat, mit einer Steptanzszene mit James Cagney zu kontrastieren, das ist gewagt. So sehr, daß wieder die Eitelkeit durchschimmert im großen Dokumentarfilmer Marcel Ophuls. Alexander Musik

Heute um 18.30 Uhr, Kino 46

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