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Ein Hund namens „Jawaharlal“

Soeben ist Salman Rushdies neuer Roman in seinem Heimatland Indien erschienen. Die Politik macht bereits Anstalten, auch „The Moor's Last Sigh“ zu verbieten – aber diesmal sind es Hindus, die sich angegriffen fühlen  ■ Aus Neu-Delhi Bernard Imhasly

Droht Salman Rushdie eine neue Fatwa? Kaum hat er sich in Schottland der Öffentlichkeit gezeigt – erstmals nach sechs Jahren des Lebens unter extremen Sicherheitsbedingungen mit vorhergehender Ankündigung –, da kommt es in seiner indischen Heimat bereits wieder zu Manövern, die in einem Verbot seines neuen Werks gipfeln könnten.

„Des Mohren letzter Seufzer“ („The Moor's Last Sigh“) ist seit drei Wochen in allen Buchhandlungen des Landes frei erhältlich, nur nicht in Bombay und der Provinz Maharashtra. Der Gliedstaat wird seit einem halben Jahr von einer Koalition unter Führung der Shiv-Sena-Partei regiert, einer vehement antimuslimischen und xenophoben Partei um den Politiker Bal Thackeray (Thackeray ist eine Anglisierung des lokalen Namens Thakre).

Im „Letzten Seufzer“ tritt ein Politiker namens Raman Fielding auf, der wie Thackeray von Beruf Karikaturist ist und dessen Bewunderung für Hitlers faschistische Methoden ebenfalls an den neuen Machthaber in Bombay erinnern. Darin liegt nebenbei noch eine literarhistorische Anspielung: Henry Fielding („Tom Jones“) und Charles Makepeace Thackeray („Jahrmarkt der Eitelkeiten“) sind zwei große Meister des satirisch-sozialkritischen Romans, von denen Rushdie viel gelernt hat. Um einem Verbot aus dem Weg zu gehen, hat der indische Vertrieb das Buch in ganz Maharashtra erst gar nicht zur Auslieferung gebracht.

Dem Politiker Thackeray wäre selbst eine Bücherverbrennung zuzutrauen. Zwar besetzt er kein öffentliches Amt, aber er gefällt sich in der Rolle eines unantastbaren Monarchen, für den die Verfassung nicht mehr als wertloses Papier ist. Sein Bungalow in einem Vorort von Bombay ist inzwischen zum eigentlichen Machtzentrum der Zehn-Millionen-Metropole geworden.

Ausländische Geschäftsleute und hohe Beamte, Filmstars und Politiker zwängen sich in den kleinen Warteraum, bevor sie zum freundlich dreinblickenden Selbstdarsteller vorgelassen werden. Thackeray entscheidet über umstrittene Kraftwerke, er läßt unliebsame Beamte versetzen, und er verspricht sogar der nach Regen dürstenden Bevölkerung Niederschläge. Er drohte der Firma Coca- Cola, ihre Niederlassungen in Indien niederbrennen zu lassen, falls sie ihren Sponsorship-Vertrag mit dem Cricketteam aus Pakistan nicht annulliert. Und mißliebige Journalisten werden in seinem Sturmblatt Saamna zur Jagd freigegeben.

Rushdie, der von seiner Fixierung auf das Dasein eines Fatwa- Opfers loskommen will, hat sich in Interviews vehement gegen eine Identifizierung seiner Romangestalt mit Thackeray zur Wehr gesetzt. Er sagt, seine Figur vereine viele Facetten eines neuen Typus von Politikern, der sich in Indien breitmache und gegen den er anschreibe.

Die Gefährdung Indiens durch Politiker wie Thackeray ist denn auch zweifellos ein zentrales Thema des Werks. Der „Letzte Seufzer“ ist aber auch ein Buch voller Komik, in dem sich Rushdie mit Sprachwitz und Fabulierlust von seinem persönlichen Trauma zu befreien versucht. Mit dem neuen Buch kehrt er in seine Geburtsstadt zurück. Der Roman „Mitternachtskinder“, der ihn mit einem Schlag berühmt gemacht hatte, schilderte die Geburt des modernen Indien aus der Perspektive der am Unabhängigkeitstag von 1947 geborenen Kinder und anhand der Stadt Bombay, in der sie aufwuchsen.

Der zweite Roman der Trilogie, „Scham und Schande“, von vielen als Rushdies Meisterwerk angesehen, setzte sich mit der für den Subkontinent traumatischen Trennung des Landes in zwei Staaten auseinander. Rushdie konfrontierte darin den Traum der muslimischen Emigranten – darunter die Eltern des 13jährigen Salman – mit der Realität der Militärdiktatur. Deren islamistische Fassade führte Rushdie dann, in den „Satanischen Versen“, zu einer Auseinandersetzung mit dem Islam. Was danach geschah, ist bekannt. Das literarische Werk Rushdies drohte zeitweilig hinter seiner Biographie zu verschwinden.

Mit seinem neuen Roman versucht Salman Rushdie, wieder seine Arbeit in den Vordergrund zu stellen. Aber er bleibt, das gibt er offen zu, ein politischer Autor, und die Stadt Bombay, die hier wieder zentraler Schauplatz wird, ist für ihn weiterhin eine Chiffre seiner politischen Ängste und Visionen. Die Stadt verkörpert mehr als jede andere das Ethos des Staatsgründers Jawaharlal Nehru: Eine Hafenstadt, geprägt von ihrem portugiesischen Namen ebenso wie vom merkantilen Nutzen, den die Engländer aus diesem „Bom Bahia“ („Schöne Bucht“) zogen – gleichzeitig ein indischer Mikrokosmos, in dem die koloniale Vergangenheit osmotisch anverwandelt wurde, durch die lokalen Fischer und Bauern ebenso wie durch zugewanderte Handelskasten aus Gujerat und Handwerker aus Kerala, durch Hindus ebenso wie durch Muslime, Parsen und Christen.

Das Buch ist die Biographie eines Halbjuden aus Kerala, dessen Eltern sich in Bombay niederlassen. Er erlebt mit, wie aus der kosmopolitischen und toleranten Handelsstadt ein demographischer Müllhaufen zu werden droht, auf dem die reaktionären Slogans chauvinistischer Politiker fruchtbare Nahrung finden. Einer der ersten Beschlüsse der Shiv-Sena-Regierung war die Umbenennung von Bombay zu „Mumbai“ gewesen – Reverenz an eine lokale Göttin, Mumbadevi, aber auch ein deutlicher Versuch, Geschichte auszutilgen.

Die Selbstzensur des Vertriebs und die Drohgebärden von Shiv- Sena-Politikern, die dem „Letzten Mohren“ das Schicksal der „Satanischen Verse“ angedroht haben, sind ein Indiz dafür, daß Rushdie wieder einen Nerv getroffen hat. Das zeigt sich auch schon in ersten ominösen Gesten der Behörden. Buchhändler aus allen Teilen Indiens berichten, sie seien vom Zoll aufgefordert worden, ihre legal eingeführten Exemplare vom Ladentisch zu räumen. Bereits 1989 war Indien das erste Land gewesen, das die „Satanischen Verse“ verbot, nachdem muslimische Politiker dagegen Sturm gelaufen waren. Radschiw Gandhi, Jawaharlal Nehrus Enkel, fürchtete damals um die Stimmen der muslimischen Wähler und ließ das Buch verbieten.

Wie tief die Toleranzschwelle inzwischen gesunken ist, zeigt aber nicht nur Bal Thackeray, sondern auch Radschiws Witwe Sonia: Die selbstberufene Verwalterin des Nehru-Erbes protestierte dagegen, daß im neuen Buch Rushdies ein Hund auf den Namen „Jawaharlal“ hört.

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