piwik no script img

Die Labour Party sucht den Thatcher-Fahrplan

■ Drei Wochen vor ihrem Parteitag wurstelt sich Labour von Zwist zu Querele

Dublin (taz) – Seine Gegner innerhalb der eigenen Partei sollten sich in die Therapie begeben, rät der britische Labour-Chef Tony Blair. Er glaubt, daß seine Partei bei den nächsten Wahlen im Frühjahr 1997 ihre allerletzte Chance habe. „Wenn die Linke unter diesen Umständen nicht die Intelligenz, Weitsicht und Disziplin aufbringt, um eine schlüssige Alternative anzubieten, dann wird ihr das niemals gelingen“, sagt Blair. Er beklagt sich darüber, daß die Revolte zahlreicher ParteigenossInnen gegen seinen Rechtskurs den Wahlsieg durchaus noch gefährden könnte.

Dabei hat die Parteibasis offenbar allen Grund zur Rebellion. Dem Guardian ist ein geheimes Strategiepapier der Labour-Führung zugespielt worden, das bis dahin nur einem kleinen Kreis um Blair bekannt war. Die Labour Party sei noch nicht regierungsfähig, heißt es darin. Zuvor müsse ihre Revolution vollendet werden. Welche Art von Revolution gemeint ist, verrät das Papier auch: „Ein politisches Projekt wie Thatchers Fahrplan von 1979.“ Dazu benötige die Partei weniger, aber bessere Leute, eine „gemeinsame politische Ideologie“ und eine „einheitliche Kommandostruktur“, bei der Blair sämtliche Fäden in der Hand halte.

Es geht wohl vor allem darum, Störenfriede wie Arthur Scargill loszuwerden. Der Bergarbeiter- Boß hatte nach dem Sonderparteitag im Frühsommer, auf dem sich die Labour Party von der „Clause 4“ verabschiedete, jenem traditionsreichen Passus der Parteisatzung, der die Verstaatlichung der Produktionsmittel forderte, wegen eines Formfehlers Klage eingereicht. Um eine peinliche und kostspielige Niederlage vor Gericht zu vermeiden, willigte Blair in der vergangenen Woche ein, die Debatte samt Abstimmung auf dem Parteitag in drei Wochen wiederholen zu lassen. Genau das hatte er eigentlich vermeiden wollen: Auf dem Parteitag sollte Einigkeit demonstriert werden.

Dazu wird es aber ohnehin nicht kommen, denn auch beim Mindestlohn bahnt sich Zwist an. Noch am Sonntag sah es so aus, als würde Blair wenigstens diese Klippe umschiffen können: John Monks, der Generalsekretär des Gewerkschaftsverbands TUC, hatte eingewilligt, das Thema auf dem TUC- Kongreß, der Montag in Brighton begann, durch eine windelweiche Formulierung zu entschärfen: Die nächste Labour-Regierung soll „unter Berücksichtigung der ökonomischen Verhältnisse und nach Absprache mit Gewerkschaften und Arbeitgebern das Lohnniveau festsetzen“.

Eine kleine Einzelgewerkschaft hat sich darauf jedoch nicht eingelassen und will bei der heutigen Debatte die alte Gewerkschaftsforderung nach 4,15 Pfund (rund 9,50 Mark) Stundenlohn als Minimum zur Sprache bringen. Und Bill Morris, Chef der einflußreichen Transportarbeitergewerkschaft, hat bereits angekündigt, daß er diese Forderung auf dem Labour-Parteitag unterstützen werde. „Es gehört nicht zu meinen Aufgaben, phantasievolle Wege zu finden, um die Armen in Armut zu belassen“, sagte er.

Der Mindestlohn sei nach wie vor erklärtes Labour-Ziel, beeilte sich Blair zu versichern, aber auf eine genaue Zahl möchte er sich nicht festlegen – aus Angst, die Tories würden damit Hochrechnungen in Bezug auf Jobverluste anstellen. Außerdem will Blair den Eindruck vermeiden, daß die Gewerkschaften nach wie vor die Labour-Politik bestimmen. Er sagte: „Niemand glaubt heutzutage ernsthaft, daß die Labour Party der politische Flügel der Gewerkschaften ist.“ Vorsichtshalber fügte er hinzu: „Auch wenn sie das auf der Bühne in Brighton behaupten mögen.“

Statt dessen will Labour den Tories den Rang als „Law-and-order- Partei“ ablaufen. Jack Straw, Innenminister im Labour-Schattenkabinett, sagte in der vergangenen Woche, die „gesetzestreuen Bürger sollen sich die Straßen von den aggressiven Bettlern, Alkoholikern, Drogensüchtigen und Scheibenputzern zurückholen“. Gerade die letzteren – diejenigen, die an roten Ampeln die Windschutzscheiben der Autos reinigen – seien ein „Paradebeispiel für die Brutalisierung der britischen Straßen“, sagte Straw.

Das aber war ein Eigentor des Möchtegern-Innenministers – seither hagelt es Parteiaustritte. Joe Oldham von der Obdachloseninitiative CHAR bezeichnete Straws Äußerungen als „feigen Versuch, die Wahlchancen seiner Partei zu verbessern“. Und der innenpolitische Sprecher der Liberalen Demokraten, Alan Beith, fragte: „Hat er einen Teppich gefunden, unter die er all diese Leute kehren kann?“ Ralf Sotscheck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen