: Stolperschritte in die rot-grüne Zukunft
Der Ministerlehrling zu Besuch bei seinen schärfsten Kritikern: Die Bergleute spendeten Michael Vesper Beifall ■ Von Walter Jacobs
Düsseldorf (taz) – Seine engsten Mitarbeiter sind merklich nervös. „Der wird da niedergemacht“, fürchtet einer im Ministerbüro und bittet seinen Chef eindringlich um Korrekturen an der von Beamten vorbereiteten Rede. Michael Vesper selbst bleibt ganz ruhig. Sicher, ein bißchen mulmig ist dem grünen Bauminister schon, aber es klingt glaubwürdig, wenn er versichert, daß „das über das übliche Lampenfieber nicht hinausgeht“.
Der Rahmen seines Auftritts bei der Belegschaftsversammlung im rheinischen RWE-Braunkohlekraftwerk Neurath ist ganz nach seinem Geschmack. In dieser, von RWE-Vorstandsmitglied Werner Hlubek als „Höhle des Löwen“ beschriebenen Umgebung anzutreten, entspricht seinem politischen Sportsgeist, befriedigt die Lust an der Kontroverse und seine – branchenübliche – Sucht nach medialer Aufmerksamkeit.
Doch der von manchen Journalisten erhoffte Radau bleibt aus. Die Bilder von aufgebrachten Bergleuten, die den SPD-Fraktionschef Klaus Matthiesen während einer Belegschaftsversammlung vor ein paar Wochen noch mit „Judas“-Rufen niederbrüllten, wiederholen sich nicht. Keine Pfiffe, keine Schmähungen, kein Spektakel. In der Sache wird zwar hart gestritten, aber am Ende verabschieden ihn die 600 Beschäftigten sogar mit Applaus.
Der Beifall gilt der Person, nicht seiner Politik. Inhaltlich stehen sich die beiden Lager weiter unversöhnlich gegenüber. Für das Nein der Grünen zu dem geplanten Braunkohletagebau Garzweiler II fehlt den Bergleuten und Kraftwerksbelegschaften nach wie vor jedes Verständnis. Sie sind entschlossen, Hand in Hand mit der Unternehmensleitung „den Ausstieg zu verhindern“. Daß die RWE-Konzernleitung die versprochene, ökologisch sinnvolle Modernisierung ihrer alten Braunkohlekraftwerke – auch ohne Garzweiler II stehen mit den genehmigten Tagebauen in Hambach und Inden bis Mitte des nächsten Jahrhunderts jährlich 70-80 Millionen Tonnen Braunkohle zur Verfügung – nun von dem „Genehmigungsverlauf“ für Garzweiler II abhängig machen will, stößt auf nahezu ungeteilte Zustimmung. Nur ein ÖTV-Funktionär meldet leise Zweifel an. Das Wort „Erpressung“ kommt ihm dabei indes ebensowenig über die Lippen wie Michael Vesper. Der beläßt es bei dem zarten Hinweis, daß „Unternehmen nicht versuchen sollten“, eine vom Volk gewählte politische Konstellation „auszuhebeln“. Keine Hand rührt sich am Montag im großen Zelt auf dem RWE-Kraftwerkshof bei diesen Worten. Im Gegenteil: Das hier versammelte „Volk“ setzt auch auf diesen Hebel.
Die gemeinsame Front aus Kapital und Arbeit macht Vesper auch in seinem unmittelbaren Zuständigkeitsbereich zu schaffen. Seine Ankündigung, im Baubereich könne und solle „weitestgehend auf PVC verzichtet werden“, rief umgehend die IG Chemie und die von der Chemieindustrie gesponserte Arbeitsgemeinschaft PVC und Umwelt auf den Plan. Deren Vertreter rühmen sich nun, im Verein mit der IG Chemie vor dem Bauministerium die erste Demo gegen die neue rot-grüne Regierung organisiert zu haben. Man werde, so lautete die blumige Warnung des stellvertretenden IG-Chemie-Vorsitzenden, Hartmut Löschner, „nicht zulassen, daß dieses Bundesland zur Sonnenblumen-Republik verkommt“.
Vesper, zu Gründungszeiten der Grünen als „Ökosozialist“ gestartet und schon lange auf der Realobank gelandet, ist trotz solcher Angriffe aus dem traditionellen sozialdemokratischen Gewerkschaftsmilieu „zuversichtlich“, daß das Bündnis der so ungleichen Partner über die ganze Legislaturperiode hält. Noch sieht der promovierte Soziologe die Koalitionsakteure aber am Fuße einer „großen spanischen Treppe“ schwitzen. Die Stufen zu besteigen sei zwar eine „mühsame Prozedur, aber wir bewegen uns Schritt für Schritt nach oben“.
Acht Wochen nach seiner Berufung sind ihm die 14 bis 16 Stunden Arbeitszeit pro Tag – „ich bin ein Lehrling“ – noch keine Last. In „seinem“ Haus sorgte sein offener, unbürokratischer Gesprächs- und Arbeitsstil für neuen Drive. Auch eingefleischte Sozialdemokraten loben die „neue Atmosphäre“, verspüren „so eine Art Aufschwung“.
Harte Kritik von Seiten der SPD-Fraktion mußte er wegen seiner Personalabbau-Pläne einstecken. Der SPD-Fraktionssprecher nannte das von ihm nach dem Muster der Privatwirtschaft vorgeschlagene Vorruhestandsmodell schlicht eine „absurde Vorstellung“. So was ärgert ihn.
Einen empfindlichen Dämpfer gab es am vergangenen Wochenende von der grünen Parteibasis. Mit großer Mehrheit befand der Parteirat, daß Ministerwürden und Abgeordnetenfron in einer Person vereinigt dem grünen Selbstverständnis widersprechen. Von dem flügelübergreifend vorgebrachten Argument, die Konfliktfähigkeit von Vesper und der grünen Umweltministerin Bärbel Höhn könne im Kabinett durch den Mandatsverzicht möglicherweise Schaden nehmen, mochte die grüne Parteibasis nichts wissen. Nach der heutigen Ministervereidigung ist deshalb – wenn auch zähneknirschend – der Rücktritt fällig. Zur Freude eines Nachrückerpärchens von der Hinterbank.
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