: Kriegsbeute: Kriegsbräute
Kriegsende 1945 in Deutschland: Die sexuell aufgeladenen Verhältnisse zwischen männlichen Siegern und weiblichen Besiegten zeitigten Folgen ■ Von Ute Scheub
Eine große Koalition der Totschweiger hat im befreiten Berlin des Jahres 1945 verhindert, daß Abtreibungen nach Vergewaltigungen erlaubt wurden, schreibt Propst Heinrich Grüber in seinen „Erinnerungen an sieben Jahrzehnte“. Als der damalige Beauftragte der evangelischen Kirche im neugegründeten Berliner Magistrat zusammen mit Professor Ferdinand Sauerbruch „die Zulassung der ethischen Indikation beantragte, fiel unser Antrag gegen die Stimmen der Kommunisten und Katholiken durch“. Eine große Koalition der Totschweiger hat bis heute verhindert, daß die Folgen der mehr oder weniger freiwilligen Beziehungen zwischen deutschen Frauen und alliierten Soldaten thematisiert wurden: uneheliche Kinder, Geschlechtskrankheiten, Heiratsverbote, Vergewaltigungen. Die rechten Parteien fürchteten die Untergrabung der Moral. Die linken Parteien fürchteten die Ausschlachtung von Gewaltakten sowjetischer Soldaten als Propagandamittel im Kalten Krieg. Die Männer der betroffenen Frauen fürchteten das Eingeständnis der „doppelten Niederlage“ im Feld und im Bett. Und die Frauen selbst hatten am meisten zu befürchten: Stigmatisierung, Ächtung, Haß.
Den Betroffenen fällt es selbst nach 50 Jahren noch schwer, über ihre Erlebnisse zu reden. Ob vor der Kamera in Helke Sanders Film „BeFreier und Befreite“ oder vor dem Mikrofon des weiblichen Teams, das die nun im Heimatmuseum von Berlin-Charlottenburg laufende Ausstellung „Worüber kaum gesprochen wurde: Frauen und alliierte Soldaten“ vorbereitet hat. Die Zeitzeuginnen sind damals von den Museumsmitarbeiterinnen an die Filmemacherin vermittelt und nun für die jetzige Ausstellung erneut interviewt worden (siehe Kästen).
Das ist jedoch nicht die einzige personelle und inhaltliche Verknüpfung zwischen dem Film und der Ausstellung. In einer Vitrine werden Krankenakten des ebenfalls in Charlottenburg gelegenen Kaiserin-Augusta-Viktoria-Krankenhauses gezeigt. Ohne diese Akten, die eine sozial engagierte Klinikleitung über besondere Vorfälle im Leben ihrer PatientInnen – also auch Vergewaltigungen – verfertigen ließ, hätte das Team der Filmemacherin seine Hochrechnungen nicht machen können. Danach sind rund 100.000 Berlinerinnen bei Kriegsende durch Sowjetsoldaten vergewaltigt worden.
Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Film und Ausstellung: Beides sind Pionierarbeiten. Sander thematisierte die verdrängte Massenvergewaltigung, das Heimatmuseum die ganze Breite des sexuell aufgeladenen Verhältnisses zwischen weiblichen Besiegten und männlichen Siegern. Allerdings hätte man sich an vielen Stellen der kleinen Ausstellung thematische Vertiefungen gewünscht – zum Beispiel bei der umstrittenen Frage, ob und wie lange die Führung der Roten Armee die Massenvergewaltigungen geduldet hat.
Um dieser zu entgehen, gingen nicht wenige Frauen damals Zweckverhältnisse mit Soldaten ein. Oder auch, um sich, der Familie oder den Nachbarn „Essen anzuschlafen“. Manche Zweckbeziehung wurde dabei unversehens zur echten Liebe. Als Beispiel hat das Museumsteam die Geschichte von Frau S. dokumentiert. Wiewohl selbst vergewaltigt, verliebte sie sich unsterblich in den blonden „Grischa“: „Ick kiek den an, und mein Herz war weg.“ Die Führung der Roten Armee aber tat alles, um solcherart „Feindkontakt“ zu unterbinden, wahrscheinlich geriet auch „Grischa“ unter Druck. Er brach den Kontakt ab, und Frau S. war allein, als sie den gemeinsamen Sohn gebar. Ihre Nachbarn, erzählt sie, „haben mit dem Finger immer gezeigt. Oder ich hab' auch schon mal jehört: ,Die kricht 'ne Russenjöre.‘“
Ein striktes „Fraternisierungsverbot“ aus Angst vor Spionage und Nazi-Indoktrination galt auch bei den Westalliierten. Um ihre Soldaten gründlich abzuschrecken, ließen die US-Kommandanten in den Kasernen reihenweise Fotos von angeblich geschlechtskranken deutschen Frauen aushängen. Die Militärzeitung Stars and Stripes veröffentlichte „Fraulein-Cartoons“, in denen das fette Fräulein „Hilda“, später „Veronika Dankeschön“, GIs umgarnt. Ihre Initialien V.D. waren die Abkürzung für „venereal desease“, Geschlechtskrankheit, ihr Name wurde zum Synonym für die weibliche Gefahr, die den Soldatenkörper bedroht.
Doch auch diese propagandistische Fiesigkeit konnte Kontakte und sogar Vergewaltigungen nicht verhindern. Eine von den Rechercheurinnen ausgegrabene US-Militärstatistik verzeichnete zwischen Juli 1942 und Oktober 1945 insgesamt 484 Vergewaltigungen, zwischen Mai 1945 und Juni 1946 insgesamt 620 – Dunkelziffer unbekannt. War die Beziehung aber freiwillig, so mußte frau Gewalt von deutscher Seite fürchten. In einer anderen US-Statistik sind eine ganze Reihe von Übergriffen verzeichnet, bei denen deutsche Männer einen an Jüdinnen bereits erprobten Handgriff anwendeten und den als „Ami-Flittchen“ Geschmähten die Haare abrasierten. Die Notizen lesen sich lapidar: „Bayreuth, late november: German men set fire to hair of German girl who fraternized.“ Der tiefverletzte Narzißmus jener Männer – vor kurzem noch teutsche Recken, jetzt jämmerliche Lumpengestalten – spricht auch aus einer Notiz des Publizisten Walther von Hollander: „Es ist nicht nur so, daß der deutsche Mann besiegt heimkommt. Mit ihm sind die Sieger eingezogen, und er muß feststellen, daß ein kleiner, nicht sehr wertvoller Teil der Frauen den Siegern anheimfällt...“
Der „kleine Teil“ blieb klein, weil auch die US-amerikanische Seite dafür sorgte. Das strikte Heiratsverbot zwischen Frolleins und GIs wurde nach Protesten zwar 1946 aufgehoben, aber nun sorgte eine umständliche bürokratische Prozedur für vielerlei Behinderungen. Die deutsche Braut mußte sich eine moralische, politische und medizinische Überprüfung gefallen lassen und so unsinnige Fragen beantworten wie: „Haben Sie Adolf Hitler gesehen?“ Insgesamt wanderten bis Ende 1948 rund 3.500 Deutsche als „war brides“, Kriegsbräute, in die USA aus. Das sind wenig im Vergleich zu den 150.000 bis 200.000 Frauen aus ganz Europa, die während und nach dem Krieg US-Soldaten ehelichten.
Viele der „Kriegsbräute“ blieben indes hier und trugen die Folgen aus. Eine Aufstellung des Bundesamtes für Statistik aus dem Jahr 1955 spricht von insgesamt 68.882 bis dato geborenen „Besatzungskindern“. Mehr als die Hälfte von ihnen, genau 37.261, sind von US- Vätern gezeugt, 3.137 sind Kinder von Sowjetsoldaten, 3.194 sind aus Vergewaltigungen entstanden. Vermutlich am schwersten hatten es die Nachkommen schwarzer GIs. Die Einschulung von bundesweit 4.776 afrodeutschen Kindern um das Jahr 1952 herum brachte eine neue Spielart des Rassismus zum Blühen, den Zuckerguß-Rassismus, der alle Schwarzen zu schokoechten Negerbuben verklärte (siehe Dokumentation). Die „Negerbuben“ haben inzwischen längst selber Kinder, die sich zum Teil recht selbstbewußt ihrer Geschichte annehmen.
Bis in die Gegenwart, nach Bosnien und zur UN-Frauenkonferenz in Peking, reichen auch zwei weitere Stränge. Auf einer Tafel wird das Frauentherapieprojekt Medica gewürdigt, das vergewaltigte Frauen in Bosnien betreut. Positiv vermerkt wird dort, „daß die muslimischen Männer ihre vergewaltigten Frauen und Töchter nicht, wie in Deutschland 1945 häufig geschehen, verlassen oder in den Selbstmord treiben, sondern zumeist verständnisvoll und zärtlich reagieren“. An anderer Stelle hängt die Deklaration Nr. 48-104, in der sich die UNO-Generalversammlung für die Ächtung von Gewalt gegen Frauen inklusive Vergewaltigung einsetzt. Die große Koalition der Verschweiger ist ein bißchen kleiner geworden.
Die Ausstellung im Charlottenburger Heimatmuseum, Schloßstr. 69, läuft noch bis 15. 10., jeweils Di.–Fr. 10–17 Uhr, So. 11–17 Uhr. Zum Rahmenprogramm gehören Filmvorführungen und Lesungen.
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