piwik no script img

Theater im Hühnerstall

■ Die Bremer Shakespeare Company betrat das o-förmige Rund des Londoner Globe Theaters und tankte Energie für die neue Spielzeit

Sie ist nackt, kahl und rund. Sie gibt sich jede Blöße. Sie ist ein Hühnerstall und soll die Welt bedeuten. Sie ist der leere Raum, das kalte Grausen für die Schauspieler. Da kommt er auf die Bühne und ist vom Publikum umzingelt, ist ausgeliefert, und keine Illusionsmaschinerie hilft. Kein Vorhang, kein Bühnenbild, kein leitendes Licht. „Ergänzt, was bei uns fehlt, in Eurem Kopf“, schrieb Shakespeare über sein Rundtheater, dem O aus Holz, um das die Zuschauer kreisen, „denn Eure Phantasie krönt unsere Könige“.

Ganz hübsch gesagt. Und kürzlich konnten Shakespeare-Gruppen aus der ganzen Welt erfahren, was der Meister meinte. Nach 382 Jahren standen wieder SchauspielerInnen auf der Bühne des Londoner Globe, dem Remake von Shakespeares Theater, das 1613 niederbrannte. Noch ist das „International Globecenter London“ nicht vollständig fertiggestellt, doch es reichte, um auf den Brettern zu arbeiten und den Schock nach Hause zu tragen.

„Alles was ich kann, funktioniert dann nicht!“ stöhnt Norbert Kentrup von der Bremer Shakespeare Company. Eine Woche lang hatte das Ensemble im Globe probiert. Aus 15 verschiedenen Stücken versuchte es Szenen umzusetzen, die Arena zu bespielen. „Die Distanzen stimmen nicht mehr, auch die Blickrichtung nicht“, jammert Kentrup, „und was mache ich ohne den Focus des Scheinwerfers?“ Doch sein Jammern klingt ziemlich siegessicher. Jahrelang wurde die Company wegen ihres Wahns vom Shakespeare-Spiel im Shakespeare-Rund belächelt. Jetzt, ein dreiviertel Jahr vor der offiziellen Eröffnung in London kann Kentrup melden: „Das Lächeln wird denen schon vergehen. Ich habe etwas erlebt, was kein Schauspieler seit 380 Jahren erfahren hat.“

Viele schöne Worte gibt es für das Spiel im leeren Raum. Von der „Aufhebung der Schwerkraft“ ist die Rede, von der „Magie im Zusammenspiel von Schauspielern und Zuschauern“, vom „Kontrast zum Bildertheater, das versucht, die Phantasie der Zuschauer durch perfekte überästhetisierte Bilderwelten zu ersetzen“. So weit die Theorie. Und was heißt das für die Praxis?

In ihrer zwölften Spielzeit, die heute beginnt, wird die Bremer Company zwei neue Shakespeare-Produktionen vorstellen: „Kaufmann von Venedig“ und „Viel Lärm um nichts“. Dabei will sie, soweit es bei der Guckkastenbühne des Theaters am Leibnizplatz funktioniert, einige der aus London mitgebrachten Spieltechniken ausprobieren. „Noch klarere Emotionen, starke szenische Präsenz, deutliche Körperzeichen“, verkündet Norbert Kentrup programmatisch. London sei eine „ungeheure Bestätigung“ gewesen.

Das wird die Kritiker des Ensembles, die immer gerne deren „holzschnittartige Werbeklamotten“ niedernörgeln, sicherlich freuen. Sie können sich dann mit dem Meister verzweifelt fragen: „Kann dieser Hühnerstall die Weite Englands fassen? Dürfen wir in dieses O aus Holz die Truppen zwängen?“

Bascha Mika

Die Bremer Shakespeare Company eröffnet die Spielzeit heute um 19.30 mit „Wie es euch gefällt“ 29.9, 17.15 Uhr Ausstellungseröffnung: „Shakespeares Globe : Die ganze Welt ist eine Bühne“ (Untere Rathaushalle)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen