: Die kritische Masse
Die Regierung erließ im Mai eine Verordnung über elektromagnetische Felder. Der BUND kritisiert das Elektrosmog-Papier als zu lasch ■ Von Norbert Seeger
Seit Jahren erhitzt, im wahrsten Sinne des Wortes, ein neues Schlagwort die Gemüter: Elektrosmog. Früher war dieses Thema nur einigen „Ökospinnern“ vorbehalten. Doch mittlerweile beschäftigen sich auch Minister und anerkannte Forschungseinrichtungen mit der unsichtbaren Gefahr. Im „Entwurf einer Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes“ vom Mai 1995 hat sich sogar die Bundesregierung mit dem Thema befaßt. Spätestens seit Gott und die Welt mit einem Handy herumläuft, findet Elektrosmog bei vielen reges Interesse. Inzwischen vertreten über 200 Bürger- und Betroffeneninitiativen sowie mehrere Wissenschaftler in der Bundesrepublik die These, daß mobile Funktelefone und andere elektrische Geräte das menschliche Gehirn unmerklich grillen.
Dabei wird nicht der Strom an sich, sondern die von jedem Gerät ausgehenden elektrischen und magnetischen Felder als eine Quelle möglicher Gefährdung angesehen. Sie stehen im Verdacht, nicht nur eine unnatürliche Erwärmung des Körpers zu verursachen und damit das Zellwachstum, sprich Krebs zu fördern, sondern auch Verursacher vieler bis heute ungeklärter Erkrankungen von Körper und Geist zu sein.
Initiativen und Wissenschaftler betrachten den Elektrosmog nicht als gesonderte Umweltbelastung, sondern als Gefährdung des Menschen und weiteren Risikofaktor in bezug auf die Umweltbelastung. Mit der Verordnung über elektromagnetische Felder der Bundesregierung wird versucht, der „neuen“ Umweltbelastung Rechnung zu tragen, indem Richtlinien für den gewerblichen Gebrauch von Hoch- und Niederfrequenzstrom erlassen werden. Doch der Bund für Naturschutz Deutschland (BUND) kritisiert diesen Entwurf als zu lasch. Zudem sei er mit zu vielen Ausnahmeregelungen ausgestattet. Der BUND verlangt eine gänzlich neue Fassung.
Nicht zuletzt das Engagement der renommierten Umweltschutzorganisation hat die vielen Elektrosmog-Gegner ins Rampenlicht gerückt: „Es gibt drei Phasen bei der Einführung einer Neuerung. Erst wird sie belächelt, dann bekämpft und dann als normal akzeptiert. Wir sind jetzt in der Phase, wo wir bekämpft werden“, beschreibt Hans-Kurt von Eicken den Ist-Zustand. Der Leiter des „Centrums für Baubiologie und Ökologie (CeBÖ)“ hält unter anderem Vorträge über die möglichen Risiken von Elektrosmog. „Uns geht es nicht darum, Angst unter den Menschen zu schüren, sondern wir wollen nur vor etwas warnen, was wir als eine Gefährdung für den Menschen betrachten.“ Es gehe nicht darum, die Elektrizität als solche zu verdammen. „Aber wir sollten nicht auch in diesem Bereich die Fehler machen wie in andern Gebieten der Technisierung, um am Ende dann feststellen zu müssen, daß es für eine Umkehr zu spät ist“, warnt von Eicken.
Zu spät ist es für ihn unter anderem dann, wenn die weltweite Kommunikation via Satellit zustande kommt. Denn entscheidend, so der CeBÖ-Leiter, sei weniger die Stärke des elektromagnetischen Feldes, sondern die Zeit, die man diesem ausgesetzt ist. „Vor der Gefährdung durch Elektrosmog im Haushalt kann ich mich schützen“, betont von Eicken. „Wenn aber erst einmal die Dinger im All sind, sind die Menschen einer dauernden Bestrahlung durch elektromagnetische Felder ausgesetzt. Und wenn dann die „seriöse“ Wissenschaft mit einem Mal feststellt, daß es eine Gefährdung durch Elektrosmog gibt, gibt es kaum noch eine Möglichkeit, die Industrie davon zu überzeugen, ihre Satelliten zu verschrotten.“
In der Wissenschaft ist die These der Gefährdung durch Elektrosmog allerdings noch immer umstritten. Auch wenn eine erhöhte Belastung der Menschen durch elektromagnetische Felder nicht geleugnet wird: „Seit 150 Jahren gibt es durch Menschen geschaffene Elektrizität. Damit läuft seit 150 Jahren ein quasi weltumfassender Großversuch an den Menschen“, erläutert Bernd Schwenke, Projektleiter der Stiftung Warentest.
„Bis heute gibt es keine ausreichenden Hinweise dafür, daß schwache elektromagnetische Felder für den Menschen gefährlich sind.“ Er sieht die in den letzten Jahren aufgekommene Diskussion als „etwas überzogen“ an und gibt zu bedenken, daß „es leichter ist, die Unsicherheit zu beweisen als die Sicherheit einer möglichen Gefährdung.“ So testet die Stiftung Warentest zwar Elektrogeräte auf ihre aktive und passive elektromagnetische Verträglichkeit im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen, aber nicht darauf, inwieweit diese Strahlung möglicherweise Auswirkungen auf den menschlichen Körper hat.
Dies wiederum ist eine Vorgehensweise, welche Lebrecht von Klitzing als zu sorglos und unachtsam betrachtet. Er beschäftigt sich schon seit Jahren in der klinisch- experimentellen Forschungseinrichtung der medizinischen Universität Lübeck mit der möglichen Gefährdung durch Elektrosmog. Während aber von Eicken die CeBö als „zunehmend akzeptiert“ einschätzt, sieht sich von Klitzing in der Position eines „Unkenrufers“, welcher zwar wissenschaftlich fundierte Beweise vorbringen kann, aber nicht auf die Resonanz stößt, welche er bei diesem Thema für angebracht hält.
Auch von Klitzing betont, daß die Gefahr beim Elektrosmog weniger in der Stärke eines elektromagnetischen Feldes bestehe, sondern in der Dauer, die man diesem ausgesetzt sei: „Ein Fön oder ein Rasierapparat haben ein sehr starkes elektromagnetisches Feld. Da ich mich aber nicht dauernd föne oder rasiere, ist die Gefährdung dadurch relativ gering.
Viel schlimmer sind die Felder, denen man dauernd ausgesetzt ist und die schlecht abzuschirmen sind, wie eben die von Elektrogeräten oder Stromleitungen.“ Denn auch wenn Geräte nicht in Gebrauch sind, sind sie von einem elektromagnetischen Feld umgeben. „Und je mehr ich davon habe, desto größer ist die Gefahr einer Schädigung.“ Zwar ist seiner Einschätzung nach die fortschreitende Elektrifizierung nicht mehr aufzuhalten, aber um trotzdem die von ihm konstatierte Gefährdung der Menschen so gering wie möglich zu halten, plädiert er nicht nur dafür, im privaten Bereich für eine größtmögliche Sicherheit durch Abschirmung oder Abschaltung des Stromkreises zu sorgen, sondern auch die Elektronikindustrie zu animieren, diesem Umstand der Gefährdung Rechnung zu tragen. „Passiert das nicht, wird irgendwann die kritische Masse erreicht, und dann gibt es ein böses Erwachen“, prophezeit der Wissenschaftler.
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