: Subversives Kichern?
Begegnung und Gespräche mit höflichen und interessanten Chinesinnen und viele schlaue Fragen ■ Von Annette Jensen
Shang Li Hua lacht. Die Vorurteile der Besucherinnen amüsieren sie. „Die Zeiten haben sich stark geändert. Die Arbeitseinheit, die das Leben von der Wiege bis zur Bahre organisierte, ist bei uns schon eine ganze Weile vorbei“, erklärt die Chefin einer staatlichen chinesischen Transport-Fluggesellschaft. Geduldig beantwortet die elegant gekleidete 45jährige die Fragen der taz-Leserinnen, die parallel zur UNO-Frauenkonferenz nach Peking gekommen sind. Sie berichtet, daß die weiblichen Beschäftigten in ihrem Betrieb tüchtiger seien als ihre männlichen Kollegen und sie deshalb lieber Frauen anstelle. Die Gäste goutieren das. Waschen, Putzen und Kochen seien bei ihr zu Hause gerecht verteilt. Auch ihre Erfahrungen während der Kulturrevolution, als sie in der Inneren Mongolei hart auf dem Feld arbeiten mußte, sind für Shang Li Hua kein Tabuthema. Nur ihr Einkommen erklärt sie verlegen lächelnd zum Geheimnis. Es sei jedenfalls höher als der Durchschnittslohn, der in China im öffentlichen Sektor bei etwa 400 Mark liegt.
Shang Li Hua ist eine der Gesprächspartnerinnen, die das offizielle chinesische Reisebüro für die taz-Leserinnengruppe organisiert hat. Die Bandbreite ist erstaunlich. Während die Chefredakteurinnen einer der größten Frauenzeitschriften des Landes der Übersetzerin ihre ausweichenden Antworten zuflüstern und politische Fragen schließlich ganz zurückweisen, spricht eine andere vom Maoismus als Religion. Lin Yanan, die ehrenamtlich bei der Beratungsstelle „Der heiße Draht“ scheidungswilligen Frauen hilft, berichtet offen über ihre Arbeit. Heute trauen sich immer mehr Frauen, die Scheidung von sich aus einzureichen. „Inzwischen glauben auch Frauen, daß sie auch ein richtiger Mensch sind“, faßt Lin Yanan ihre Erfahrungen zusammen. Viele Familien spalten sich aber auch aufgrund der Liberalisierung: Da kann sogar die Waschmaschine zum Prüfstein werden. Auf ihre Anschaffung kann das Glück einer jungen Ehe gebaut sein.
Nicht alle Gesprächspartnerinnen bekommen wie Lin Yanan die ungeteilte Sympathie der Besucherinnen aus Deutschland. Die spontane Bemerkung von Reiseleiterin Wang Huaina, zum Glück habe sie einen Sohn und keine Tochter, erschreckt mehrere taz-Leserinnen. Frau versucht sie vom Wert eines Mädchens zu überzeugen. Frau Wang stimmt schließlich höflich zu.
Während auf dem offiziellen Programm ansonsten Hochkultur steht – Ausflug zur Chinesischen Mauer, die dieser Tage für Einheimische gesperrt ist, zum Himmelstempel, zur Verbotenen Stadt und zur Pekingoper –, machen sich viele Frauen selbständig. Eine Pauschalreise gebucht zu haben oder gar wie bei einer Buttertour Zwangspause in einem Kitschladen machen zu müssen empfinden einige als Makel und Zumutung. Fast jede schaut einmal auf der NGO-Konferenz in Huairou vorbei – ein unproblematischer Ausflug, wenn frau die Busverbindung kennt. Daß sie eine Diktatur besuchen, spüren die etwa fünfzig taz- Touristinnen kaum. Zwar lungern am Tiananmen-Platz permanent Massen von Polizisten herum, die angeblich alle Wolldecken bereithalten; irgend jemand hat das Gerücht gestreut, Teilnehmerinnen der Frauenkonferenz wollten sich die Kleider vom Leib reißen. Und auch im Hotel werden gelegentlich Uniformierte gesichtet. Aber bei der Ein- und Ausreise geben sich die staatlichen Stellen richtig locker. Das chinesische Zwangssystem ist allenfalls indirekt sichtbar: Auf den Märkten und zwischen den engen Wohnquartieren sitzen alle dreißig Meter alte Frauen mit roter Armbinde, die für Ordnung sorgen – und, wie man weiß, auch für die Durchsetzung der rigiden Ein-Kind-Politik. Reiseleiterin Yang Liping preist ungebrochen die Regierung, die alle Probleme im Griff habe. Und nirgends ist eine internationale, unabhängige Zeitung aufzutreiben.
Auch innerhalb einer nur einwöchigen Reise bekommt frau eine Ahnung davon, daß Peking eine Stadt voller Brüche ist. Die Menschen in der Innenstadt wohnen in winzigen Häusern, mit einer einzigen Toilette für einen ganzen Häuserblock. Viele leben vom Verkauf einiger braungefleckter Pfirsiche oder wenige Pfennige kostender Eßstäbchen. Weiter draußen stehen riesige Hochhausblöcke an sechsspurigen Straßen; hier soll die Miete schon einige hundert Mark kosten. Im Hotel Beijing unterhält ein Streichquartett die Gäste mit Mozart, was den Preis für eine Dose Bier auf Hotel- Atlantik-Niveau hochtreibt – doch auch ChinesInnen gönnen sich diesen Luxus.
So widersprüchlich die Eindrücke, so vielfältig die Reaktionen und Einschätzungen der taz- Leserinnen. Heizt man mit dem inzwischen üblichen Trinkgeld die sozialen Gegensätze an, und sollte es deshalb lieber sparsam niedrig bemessen sein? Soll frau den Diebstahl eines Pyjamas bei der Rezeption melden, auch wenn dem Zimmermädchen vielleicht drakonische Strafen drohen? Ist die NGO- Konferenz ein Grund zur Euphorie oder ein Desaster? Darf man Fragen stellen, die als unhöflich gelten? Kichern die ChinesInnen aus Verlegenheit, weil ihnen die Langnasen aus Europa so lächerlich vorkommen, oder ist ihr Kichern gar subversiv? Fünfzig Frauen, fünfzig Fragen, fünfzig Antworten. Bei der Frauenkonferenz ging die Tendenz offenbar in eine ähnliche Richtung.
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