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Das letzte Geheimnis vertrieben

■ Schauspielhaus (I): B.K. Tragelehn inszeniert Heiner Müllers „Verkommenes Ufer . . .“

Männer hüben, Frauen drüben (oder umgekehrt): Während B.K. Tragelehns Inszenierung von Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten herrscht im Zuschauerraum die Geschlechterdifferenz. Die Zuschauer von Heiner Müllers Stück-Tryptichon haben sich im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses aufzuteilen – Männer durch die rechte, Frauen durch die linke Tür. Auf zwei Tribünen sitzen sie sich dann gegenüber, verfolgen die Szenen – und beobachten die Reaktionen des jeweils anderen Geschlechts, wobei sie sich zugleich wiederum vom anderen Geschlecht beobachtet wissen. Es sei nebenbei vermerkt: Bei der Übernahme aus dem Düsseldorfer Schauspielhaus herrschte während der Premiere am vergangenen Freitag im Frauenblock zuerst die bessere Stimmung, gegen Ende konnte in beiden Blocks von guter Stimmung nicht mehr recht die Rede sein.

Daß das Geschlechterverhältnis verhandelt werden soll, das behauptet die Inszenierung schon mit der Anordnung des Publikums. Leider bleibt es beim Behaupten. Doch zunächst wird es durchaus hinreißend. Die Schauspielerin Barbara Nüsse sagt, im Frauenblock sitzend, das erste Wort des Textes. Der Schauspieler Peter Lohmeyer antwortet im Männerblock mit dem zweiten Wort. Wieder Nüsse. Wieder Lohmeyer. So geht es hin und her, ein Wettstreit zwischen Mann und Frau, ein Sichlocken und Sichabstoßen mit Textfetzen. Da brannte ein Feuer. Bestimmt 20 Minuten brauchen die beiden für die ersten neun Zeilen des Textes, es bleiben die besten Momente der Inszenierung.

Der Rest zieht sich. Tragelehn zeigt sich bald entschlossen: zum Bildungstheater. Er blättert die Müllersche Sprache auf, als wolle er auch noch das letzte Geheimnis daraus vertreiben. Und statt den Müllerschen Text wie am Anfang als Eigenrealität und die als Material für die Aufführung zu nehmen, versucht er, die darunterliegende Geschichte zu erzählen. Nicht: Medeamaterial. Sondern: Die Geschichte, wie Medea (B. Nüsse) sich einmal emanzipierte und Jason (P. Lohmeyer), ihren Mann, ganz gehörig aus der Fassung brachte (indem sie die gemeinsamen Söhne tötete nämlich). Anläßlich der Inszenierung seiner Hamletmaschine durch Robert Wilson hat Heiner Müller gesagt, gerade daß Wilson ihn nicht verstehe, das helfe dem Text. Tragelehn, der alte Theaterrecke, hat Müller verstanden, bis dem Text nicht mehr zu helfen war.

So kommt's, daß trotz der Schauspieler, trotz eines gelungenen Bühnenbilds und trotz eines überragenden Theatertextes keine gute Inszenierung zustande kam. Auf der anderen Tribüne bekamen die Frauen zunehmend diesen Blick, der zeigt: Das Feuer ist aus. Es brannte kurz. Dirk Knipphals

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