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Im Rücken die kichernde Meute

■ Schauspielhaus (II): Franz Wittenbrink setzt als Late-Night „Sekretärinnen“ in Szene

Ironie ist ein wohl zu dosierendes Gut. In kleinen Portiönchen bereichert sie Unterhaltungen und Theaterabende, aber als Regieleitfaden für einen Liederabend erzeugt sie hauptsächlich Stereotypen. Franz Wittenbrinks Late-Night Sekretärinnen, die am Sonnabend im Schauspielhaus Premiere hatte, ist leider ein solches Beispiel für die Ökonomie des Wieherns und Lachens, die auf Kosten von Nachhaltigkeit und menschlichem Respekt wirkt.

Es ist das Grundprinzip des Kabaretts, das hier Anwendung findet: Man konstruiert zuerst handfeste Klischees, um sich dann in einer großen Umarmungsgeste mit dem Publikum darüber lustig zu machen. Was davon aber letztlich haften bleibt, ist die Verfestigung eines Klischees – in diesem Fall des Klischees der Sekretärin.

Neun Typen hat sich Wittenbrink dafür ausgesucht, jede eine mehr oder weniger klassische Witzfigur aus dem Repertoire chauvinistischen Humors: das dralle, aufgetakelte und männergeschädigte Dummchen, die verklemmte Keksmutti mit Deutscher-Schlager-Romantik, die Straß-und-Glitter-Blondine, die graue Maus, die sich für Carmen hält, und die graue Maus mit der Gemme an der zugeknöpften Bluse, die Sexy-Hexy hinter der Flügelbrille, die polterig-pathetische Runde, die Identitätskrisengeschüttelte und schließlich die in die Wirklichkeit gestoßene Träumerin.

Weil wir im Schauspielhaus sind und nicht auf der Witzseite der Bild am Sonntag, dürfen sie alle natürlich stimmige Details und persönliche Aspekte aufweisen. Aber in ihrer primären Funktion sind die neun Schauspielerinnen dazu da, Typen zu behaupten, die sie in den von ihnen vorgetragenen Liedern dann ironisch karikieren dürfen. Die verlassene Disco-Queen (Catrin Striebeck) muß sich selbst mit Gittes „Ich bin stark“ lächerlich machen, die harmoniesüchtige Keksspenderin (Gundi Ellert) mit „I Wonna Be Loved By You“ und die Strenge mit literarischer Bildung (Monica Bleibtreu), indem sie Eichendorffs „Das Mühlenrad“ mit der kichernden Meute im Rücken singt. Ohne wesentliche Brüche, Verzerrungen oder inhaltliche Proteste steuert diese musikalische Ausstellung weiblicher Schwächen im Finale auf die Botschaft hin: „Ich mache ja alles was du willst, lieber Chef, aber ich verlange dafür etwas Respekt“, dargebracht in Form von Aretha Franklins „Respect“. Und dieser zornige Vortrag – wo es einmal angebracht wäre – verweigert dann auch noch jede Ironie. Befreiungsakte wie dieser gehören wohl eher in die pränatale Phase der Frauenemanzipation und wirken 1995 wenn nicht absurd, so doch zumindest komod.

Zwei Stars dieses Abends dürfen dennoch nicht unterschlagen werden: Marion Martienzen, die als Gast in dieser Produktion mitwirkt, weil sie ihre Leidensgenossinnen locker und gleichzeitig emphatisch an die Wand singt, und der Bürobote Michael Wittenborn, der sich plötzlich in einen langhaarigen Eros Ramazotti verwandelt und mit dessen „Se bastase una bella canzone“ alle Dämme der Zurückhaltung brechen läßt. Aber in Erinnerung an Franz Wittenbrinks grandiosen ersten Liederabend Fremd bin ich eingezogen . . . kann das höchstens eine Entschuldigung sein.

Till Briegleb

PS: Das Publikum war begeistert.

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