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„Langsam wird's langweilig“

Italien wird Volleyball-Europameister und die Niederländer scheitern wieder in einem Finale. Nach dem 2:3 sind erste Auflösungserscheinungen bei den ewigen Zweiten zu erkennen  ■ Aus Piräus Holger Gertz

Es gibt Momente, da kann man nicht verbergen, wie traurig man ist, wie enttäuscht, auch wenn man sich die größte Mühe gibt. Peter Blangé hat Samstag nacht zur griechischen Hallendecke gestarrt, wohl damit niemand in seinem Gesicht lesen kann und sehen, wie er sich fühlt. Und Olof von der Meulen hat, am Boden hockend, sein Trikot über den Kopf gezogen. Es hat nichts geholfen: Blangé hat sein Hals verraten, dem man ablesen konnte, wie er schlucken mußte, um nicht loszuheulen. Van der Meulen hat gezittert unter seinem Hemd, wie es einer tut, der sich die Seele aus dem Leib weint. Ein Bild des Jammers. Das Ende des EM-Finales. Hollands Volleyballer haben verloren gegen Italien, wie bei der letzten EM, der letzten WM. Diesmal waren sie nah dran wie nie, fünf Sätze den Italienern ebenbürtig in einem wunderbaren Spiel. Für Italiens Nationaltrainer Julio Velasco war es „eines der besten Spiele in der Volleyball-Geschichte“. Aber was bringt das, hat Peter Blangé gefragt, als er wieder reden mochte, eine Stunde nach dem letzten Ball: „Wir sind wieder nur Zweiter. Wieder eine Silbermedaille. Langsam wird's langweilig.“

Was muß das für eine Ernüchterung gewesen sein nach allem, was die Niederländer geleistet hatten bei der EM. Keinen Satz abgegeben in sechs Spielen, die starken Bulgaren davongewirbelt, gegen die Deutschen trickreich schlenzend und machtvoll schlagend zehn Satzbälle abgewehrt. „Wir wissen, wie gut wir sind“, hat Joop Alberda, der Trainer gesagt. Ein Rückstand läßt das Hemd nicht flattern, ist eher so etwas wie eine Konzentrationsübung. „Wir reißen uns zusammen und holen auf, ganz einfach.“ Ein bißchen arrogant muß man dafür schon sein, und daß sie es sind, demonstrieren die Volleyballer schon vor Spielbeginn. Zwei Meter und einen Zentimeter mißt das Team Oranje im Durchschnitt, wie Pfauen stolzieren die Hünen über das Feld. Kommt her, ist die Botschaft, kommt her und versucht euer Glück. Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt.

Die meisten schüchtert das ein, aber dummerweise gibt es noch die Italiener, deren Wege sich mit denen der orangefarbenen Pfaue im Finale jedes Championats kreuzen, immer mit dem gleichen Resultat: Italien siegt. „Ich weiß nicht, warum. Vielleicht sind es die Nerven“, sagt Blangé, vielleicht habe sich da so etwas wie eine innere Blockade aufgetürmt. Es ist eine tragische Geschichte, und was bleibt dem Trainer anderes übrig, als trotzig zu behaupten, es mache ihm nichts aus, ewig Zweiter zu sein. Drei bis vier Prozent lägen zwischen beiden Teams, leistungsmäßig. „Was ist das schon? Wir sind fast gleich“, sagt Alberda. Fast, dummerweise hat es auch bei dieser EM nicht zwei Sieger gegeben, und Alberda weiß, daß der Druck, der auf ihm lastet, immer schwerer zu ertragen wird. Holland hat jahrelang investiert. Sponsoren haben den Spielern ermöglicht, gemeinsam Tag für Tag zu üben. 1990 wurde diese Konzentration der Kräfte aufgelöst, die geschulten Volleyballer gingen reihenweise nach Italien und bildeten sich in der Profiliga weiter. 17 der 24 Spieler der beiden Final-Mannschaften verdienen ihr Geld in Italien. Entstanden ist eine niederländische Nationalmannschaft, gegen die zum Beispiel Deutschland, sagt Bundestrainer Olaf Kortmann, „nicht den Hauch einer Chance hat“. Und weil das so ist und weil sich wohl auch nichts daran ändern wird, solange er seine Spieler nicht öfter versammeln kann, hat er schon mal angekündigt: „Ich will nach der nächsten EM nicht wieder erzählen, was sich alles ändern sollte. Es muß jetzt etwas passieren.“ Kortmann, mit seinem Team auf Platz acht gelandet, hat sich das Endspiel von der Pressetribüne aus angesehen, und es muß ihm vorgekommen sein wie die Darbietung von zwölf Artisten in Blau und Orange.

Wenn nur Italien nicht wäre. So lange schon warten die Holländer auf den Erfolg, daß darüber die Einheit im Kollektiv brüchig zu werden beginnt. Im Zeitungswald rauschte es zuletzt gewaltig, nachdem Angreifer Ron Zwerver, dem sie huldigen wie einem König, via Interview verkündet hatte, Coach Alberda könne ihm „nichts mehr geben“. Hinterher haben viele versucht, der Aussage ihre Brisanz zu nehmen, aber widerrufen hat Zwerver sie nicht. Jetzt wird der Streit schlimmer werden. Nach dem Endspiel haben Trainer und Star sich nicht angesehen und schon gar nicht miteinander geredet. Es gibt Situationen, da will man nicht verbergen, wie wenig man sich mag.

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