: Sperrige Spritzen
■ Niedersachsen: Spritzen in den Knast. Und Bremen?
Heroin können BesucherInnen leicht ins Gefängnis schmuggeln - versteckt in Körperöffnungen. Spritzen sind sperriger. In den Justizvollzugsanstalten gibt's also viel Heroin, aber wenig Spritzen. Die wenigen Spritzen gehen reihum. Folge: In Niedersachsens Knästen sind bis zu 20 Prozent der Gefangenen aidsinfiziert, bis zu 70 Prozent an Hepatitis C erkrankt. Dagegen unternimmt Niedersachsens Justizministerin Heidi Alm-Merk nun was: Ab Januar 96 werden im Frauen-Gefängnis Vechta Spritzenautomaten hängen, ab März auch im Männer-Gefängnis in Lingen. Auch Hamburg will solch einen Versuch wagen.
Und Bremen? Seit Jahren liegen Drogenhilfe-Einrichtungen dem Justizsenator in den Ohren, den Drogenabhängigen im Knast doch ebenso den Zugang zu sauberem Spritzbesteck zu ermöglichen wie den Drogenabhängigen draußen. Allein, Justizsenator Henning Scherf, der lieber alle Junkies ganz und gar und sofort clean hätte, ließ sich nicht erweichen. Allerdings, auch das wird verbreitet, habe Scherf gesagt, daß er sich zu Spritzenautomaten im Knast dann bewegen ließe, wenn denn die Anstaltsleiter und die Anstaltsärzte ihm dies vorschlagen würden. Genau das taten die aber nicht. Seit zwei Jahren tagt eine Arbeitsgruppe „Infektionsprophylaxe im Vollzug“, besetzt unter anderem mit Behörde und Anstaltsleitungen, sie tagt und tagt....
Doch jetzt scheint sich, zumindest beim Oslebshauser Anstaltsleiter Hans-Henning Hoff und dessen leitendem Anstaltsarzt, was zu bewegen: Hoff will der Arbeitsgruppe „Infektionsprophylaxe“ diese Lösung vorschlagen: Die Spritzen werden nicht über Automaten verteilt, sondern über den Arzt vergeben. Das sei zwar nicht anonym, der Arzt stehe aber unter Schweigepflicht. Vorteil: Der Arzt habe immer die Möglichkeit, den Abhängigen anzusprechen, zum Beispiel auf eine Therapie. „Daß da nur mehr Spritzen im Vollzug sind, das ist mir zu wenig“, sagt Hoff, „wir haben ja auch die gesetzliche Aufgabe, die Leute von der Sucht wegzubekommen“.
Weiterer Vorteil: Die VollzugsbeamtInnen kämen nicht in solche Gewissenskonflikte, wie sie ihnen durch Spritzenautomaten bereitet würden. Denn wie solle ein Bediensteter in seinem Kopf klarkriegen, daß er einerseits weiterhin Zellen auf Heroin durchsuchen müsse, andererseits einem Süchtigen nicht sofort hinterherrennen dürfe, wenn der sich eine Spritze ziehe? (Rechtlich nämlich sind Spritzen erlaubt, Heroin jedoch verboten.) Anonym aber seien Spritzenautomaten in den Oslebshauser Wohngruppen partout nirgends aufzuhängen.
Ja, ja, meint der Justizstaatsrat Michael Göbel zu diesen Überlegungen des Anstaltsleiters und des Anstaltsarztes, „aber die sind noch lange nicht soweit, daß da was umsetzbar wäre.“ Vor dem Ende der Versuche in Niedersachsens werde in Bremen sicher nichts passieren. Im November will die Arbeitsgruppe „Infektionsprophylaxe im Vollzug“ der Justizdeputation Empfehlungen aussprechen. Möglicherweise wird man mit geteilter Zunge sprechen, heißt es. „Man muß auch bedenken, daß wir jetzt eine große Koalition haben“, sagt Henning Maukl-Backer vom Justizressort zu den Aussichten der Empfehlungen in der Deputation.
Immerhin liegt jetzt die vorläufige Zischenbilanz des Pilotprojekts zur HIV-Prävention in der Anstalt Hindelbank (bei Bern) vor. Der Drogenkonsum habe nicht zugenommen durch die Spritzenvergabe, wird berichtet, das hätten die Urinproben ergeben. Und: „In keinem Fall wurde eine Spritze als Waffe gegenüber dem Personal oder Eingewiesenen eingesetzt.“ Und: „Während der untersuchten Zeit ist keine Neuansteckung mit HIV, den Hepatitiden A, B und C sowie Lues (Syphillis) festgestelt worden.“ Heino Stöver vom Verein „Kommunale Drogenpolitik“ weiß schon heute, was in Bremen über dies Ergebnis gesagt werden wird: „Das war ja auch nur ein Frauenknast, das ist ja nicht zu vergleichen, da muß jetzt erst ein Versuch in einem Männerknast vorliegen.“ cis
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